t hat. Hier
laesst er sich Klagen und Vertheidigung vortragen, verhoert die vorgeladenen
Zeugen und giebt nach Berathung mit den Gerichtsbeisitzern seinen Spruch
ab, dem jedoch die ausuebende Kraft fehlt und der daher mehr als Gutachten
angesehen werden muss. Ist der Koenig verreist, so waehlen sich die Parteien
selbst ihren Schiedsrichter. In den Provinzen entscheidet der Gouverneur
und zwar gleichfalls oeffentlich, in der Regel auf einem Huegel in der Naehe
der Stadt. Rueppell wohnte einer solchen Gerichtssitzung zu Angetkat in
Semien bei. Der Gouverneur sass auf einem Flechtstuhle und ringsumher lagen
die Zuhoerer im feuchten Grase. Es handelte sich um eine Ehescheidung, bei
der sowol Mann wie Frau ihre Sache persoenlich vortrugen und zwar beide mit
vieler natuerlicher Beredsamkeit. Die Umstehenden sprachen fortwaehrend laut
dazwischen und machten ihre Bemerkungen ueber den Gang der Unterhandlungen.
Endlich ward Ruhe geboten und der Gouverneur verkuendigte das Urtheil,
worauf er beide Parteien mit einem "Marsch!" entliess.
Bei diesen Verhandlungen wird das geschriebene Gesetzbuch Abessiniens, das
_Feta Negust_ (die Richtschnur des Koenigs) nur selten angewandt, da man es
meist nur bei verwickelten Rechtsfaellen zu Rathe zieht. Es soll angeblich
unter Konstantin dem Grossen durch die auf dem Konzil zu Nicaea versammelten
Kirchenvaeter zusammengestellt worden sein. Das Feta Negust besteht aus
zwei Abtheilungen, von welchen die eine das kanonische, die andere das
buergerliche Recht behandelt; beide zusammen haben 51 Unterabtheilungen.
Die 22 Paragraphen des kanonischen Rechts handeln von der
Rechtglaeubigkeit, der Geistlichkeit, der Kirche, der Verwaltung von deren
Eigenthum, vom Gottesdienst, den Feiertagen, der Ketzerei u. s. w.; die 29
Paragraphen des buergerlichen Rechtes von der Dienstbarkeit, der Ehe, dem
Wucher, Erbschaft, Kauf, Zeugnissen, gefundenen Sachen, Grundeigenthum,
Todtschlag, Diebstahl, Strafen u. s. w. Interessant ist die von Rueppell
nicht ohne Grund ausgesprochene Ansicht, dass als Verfasser dieses
Gesetzbuches vielleicht der protestantische deutsche Missionaer _Pater
Heyling von Luebeck_ anzusehen sei, der im Jahre 1634 nach Abessinien kam.
Alle Gesetze jedoch, so gut sie sein moegen, hindern das Volk nicht in
seinem faulen, zuegellosen und namentlich in geschlechtlicher Beziehung
ausserordentlich liederlichen Lebenswandel fortzufahren, und die zahlreiche
Geistlichkeit thut nicht das Geringste, um
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