RELIGION, KIRCHE UND GEISTLICHKEIT ABESSINIENS. DAS MISSIONSWESEN.
Das Christenthum Abessiniens, dessen Lehren und Verwahrlosung. -
Der Abuna. - Art des Gottesdienstes. - Die lasterhafte
Geistlichkeit. - Moenche und Kloester. - Politische Asyle. -
Zeitrechnung. - Feste. - Taufe, Ehe, Begraebniss. - Die Kirchen,
ihre Einrichtung und Ausschmueckung. - Die verschiedenen
Missionsversuche in Abessinien, deren Misslingen und Urtheile
darueber.
Unter den Sonderkirchen des Morgenlandes, die durch das Dogma der
Dreieinigkeit mit der allgemein christlichen zusammenhaengen, aber nach
zwei verschiedenen Richtungen hin von ihr infolge der Bestimmungen sich
loesten, denen im fuenften Jahrhundert die Vorstellung von der Gottheit und
Menschheit Christi unterworfen wurde, giebt es zwei Volkskirchen, die
beide fast monophysitisch sind, beide von selbstaendigen Sprachen,
Stiftungen und Ueberlieferungen getragen werden, die beide tief verfallen
und entartet sind: die armenische und abessinische Kirche. Die letztere,
die entlegenste, abgesperrteste, ist auch die entartetste, die am meisten
von Heidenthum, Judenthum und Muhamedanismus durchsetzte und ueberhaupt dem
Christenthum am fernsten stehende. Byzantinische Scheinrechtglaeubigkeit
hat diese Kirche in den Fanatismus der Formel versetzt, und die Waffen des
Geistes werden vor dem priesterlichen Bann gestreckt; das Leben dieser
Kirche basirt auf dem Anblasen und Handauflegen des Abuna, des obersten
Bischofs, und leere Ceremonien gelten fuer Gottesverehrung. Dazu gesellt
sich, dass die Traeger dieser Kirche, vom hoechsten Kirchenfuersten an bis zum
niedrigsten Moenche herab, durch eine grenzenlose Sittenlosigkeit dem
ganzen Volke mit ueblem Beispiel vorangehen und dass sie die bedeutende
Macht, welche sie ausueben, meistentheils zum eigenen Nutzen verwenden.
Selbst die grosse Versunkenheit, in welche die europaeische Geistlichkeit im
Mittelalter zum Theil verfallen war, reicht noch lange nicht an jene der
abessinischen Priester heran.
Von der Einfuehrung des Christenthums war bereits die Rede, sehen wir nun,
wie dasselbe heute beschaffen ist. Die Abessinier sind koptische Christen.
Sie glauben an eine goettliche Offenbarung in der Heiligen Schrift, doch
hat die kirchliche Tradition genau dieselbe Geltung wie die Bibel. Nach
dem Missionaer Isenberg haben sich bei ihnen die Hauptlehren des
Christent
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