thaetigen und forschenden
Kraefte des Menschen. Als sich aber auch keine Aussicht zeigt, eine
maechtige Leidenschaft, die ihn ganz erfuellt, zu befriedigen, vermag er
nicht mehr laenger zu leben und gibt sich den Tod.
Er hat jedoch ebenfalls bei seinem maechtigen inneren Ringen das
deutliche Gefuehl, dass er sich dadurch grade von der grossen Masse der
Menschen unterscheide, nicht minder aber sieht er ein, dass jenen dafuer
auch die Erkenntnis ihrer Eingeschraenktheit abgehe, und sie sich darum
in den engen Grenzen ihres Daseins gluecklich fuehlen und es, so gut es
geht, ausschmuecken und verzieren, eine Freude, die ihm nie werden kann.
Darum gibt es fuer den kranken Werther von Anfang an fuer all das nur
einen Trost, im Herzen das suesse Gefuehl der Freiheit, und dass er diesen
Kerker verlassen kann, wann er will[19].
Nicht Befriedigung finden zu koennen und endlich sogar da nicht, wo sie
doch anderen gegeben ist, dazu die Enge des buergerlichen Lebens, ein
Motiv, das der Dichter noch weiter ausgestattet und verstaerkt hat, um
ausdruecklich damit die That seines Helden zu begruenden, treiben Werther
in den Tod. Dass fuer beides das Leben des Dichters reichlichen Stoff
lieferte, braucht hier nicht weiter ausgefuehrt zu werden. Am schaerfsten
ausgepraegt erscheint der Gegensatz zwischen menschlichem Streben und den
Kuemmerlichkeiten und Plagen des gewoehnlichen Lebens noch einmal in
Kuenstlers Erdenwallen vom Sommer 1774, hier aber, sehr bezeichnend fuer
den durch den Werther innerlich befreiten Dichter, ausklingend in
kraeftige Trostworte an den klagenden und verzagenden Kuenstler[20].
Ausgangspunkt ist also im Werther wie im Faust das tiefe Problem von der
Bedingtheit der menschlichen Natur gegenueber seinem unendlichen Streben,
von dem daraus sich ergebenden inneren Freiheitsdrange; im Werther geht
dieses Streben jedoch schliesslich in die Form einer endlosen
Leidenschaft ueber, die sich ein bestimmtes, einzelnes Ziel gesteckt hat:
im Faust bleibt es auf das Hoechste im Leben gerichtet; er findet die
Kraft durch eine auf das Gebiet des Erreichbaren sich beschraenkende,
immer bedeutender werdende Thaetigkeit Befriedigung zu suchen und das
Unerforschliche fuer sich bestehen zu lassen. "Ich hatte nie die Idee,
aus dem Sujet ein einzelnes Ganze zu machen," schreibt er an S.
Laroche[21], da er Mitte Februar 1774 am Werther arbeitete. Allerdings
nicht: denn sie war damals schon in seinem Geiste als der Keim
vorhanden,
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