it Werthers
Leiden in die Augen. Wir wissen, dass dieser Roman schon Ende 1773
geplant war, dass er aber erst Anfang 1774, als die eigentuemlichen
Lebensumstaende des Dichters selbst dafuer sorgten, zur Ausfuehrung
kam[191]. Auch bei Werther erscheint der Unendlichkeitsdrang, aber nur
als ein ungeheurer Hintergrund; auch er will sich Gott gleich heben, um
Schaffenslust zu geniessen; aber fuer ihn ist dies Streben eine Zeit, die
hinter ihm liegt. Ihm ist von vornherein nicht die Kraft gegeben, es zu
verwirklichen. Er fuehlt den titanischen Drang des Uebermenschen in sich,
aber nicht seine Staerke. Er, dessen Geist nach dem Unendlichen griff,
wird von einer Leidenschaft gepackt, die ihn ganz ausfuellt, die ebenso
endlos werden muss, wie sein frueheres Streben. Und auch jetzt wird ihm
keine Befriedigung. Ein Versuch, sich durch Thaetigkeit zu befreien,
misslingt in der Enge des buergerlichen Lebens, schneidet ihm dies
Rettungsmittel ab und vermehrt noch den Druck der Einschraenkung. Er
befreit sich durch den Tod. Der geniale, nach dem Hoechsten ringende
Mensch stellt sich hier im buergerlichen Kleide des 18. Jahrhunderts dar;
allein er sollte nicht einmal in dem kleinen Leben die Befriedigung
finden, die es sonst seinen Angehoerigen, so seinem gluecklichen
Nebenbuhler, gab. Zugleich wird ihm die Enge dieses Lebens beschaemend
dargethan;--auch ein buergerliches Drama. Vielleicht hat auch Goethe
urspruenglich die Absicht gehabt, eines daraus zu machen[192]. Zunaechst
hatte er aber ueberhaupt nicht die Idee aus dem Sujet ein einzelnes Ganze
zu machen. Seine Absicht war also den Grundgedanken des Werther,
unendliches Streben im Kampfe mit menschlicher Einschraenkung und seine
Folgen, im Faust darzustellen, der ihn ja, wie wir aus Gotters Versen
wissen, in jener kritischen Zeit beschaeftigte. Das Leben brachte es
anders; es schuf den ungluecklichen Bruder Fausts, der fruehe zu Grunde
ging. Es war das ein grosser Vorteil fuer den Dichter; was er im Werther
weitlaeufig dargestellt hatte, brauchte hier nur, insofern sie
wesensgleich waren, angedeutet zu werden. Allein Fausts Lebensgang
sollte weitergefuehrt werden. Sein unendlicher Drang, der nach
Befriedigung verlangte, durfte nicht nur als Hintergrund seines Lebens
erscheinen: er durfte nicht voellig etwa in einer Leidenschaft aufgehen;
er musste der Faden der Handlung bleiben, selbst da, wo er verloren
gegangen zu sein schien. Faust durfte nicht im kleinen Leben untergehen,
er m
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