erworfen. Nicht dazu
sind wir geschaffen, allein die Vergaenglichkeit zu sehen und darueber zu
klagen; denn ueberall erwaechst wieder aus dem Tod neues Leben, das zu
geniessen wir da sind. Denselben Standpunkt vertritt Goethe in der
Recension ueber Sulzers schoene Kuenste vom 18. Dezember 1772[107]. "Sind
die wuetenden Stuerme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut und
Tod in allen Elementen nicht ebenso wahre Zeugen ihres (der Natur)
ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne ueber volle Weinberge und
duftende Orangenhaine? Was wuerde Herr Sulzer zu der liebreichen Mutter
Natur sagen, wenn sie ihm eine Metropolis, die er mit allen schoenen
Kuensten als Handlangerinnen erbaut und bevoelkert haette, in ihren Bauch
hinunterschlaenge?"
Man weiss, welch maechtigen Eindruck das Erdbeben von Lissabon (1. Nov.
1755) auf alle Zeitgenossen und auch auf den fruehreifen Knaben Goethe
gemacht hat[108]. Man benutzte es damals als graessliches Argument gegen
den Optimismus und seinen Grundsatz, alles sei gut[109]. Vergebens
suchte sich sein junges Gemuet gegen diese Eindruecke herzustellen. Nach
und nach vergisst er aber die Zornesaeusserungen ueber die Schoenheit der
Welt und die mannigfache Guete, die uns darin zu teil wird[110]. So
gelang es ihm allmaehlich einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus er
zwischen Pessimismus und Leibnitz-Popischem Optimismus einen gluecklichen
Ausweg fand:
"Was wir von Natur sehen, ist Kraft, die Kraft verschlingt; nichts
gegenwaertig, alles voruebergehend; tausend Keime zertreten, jeden
Augenblick tausend geboren; gross und bedeutend, mannigfaltig ins
Unendliche, schoen und haesslich, gut und boes, alles mit gleichem Rechte
nebeneinander existierend"[111].
In humoristischer Weise findet sich diese Naturanschauung als Kampf ums
Dasein behandelt im Monolog des Einsiedlers im Satyros[112]. Sehr
bezeichnend aber hat der kranke Werther allein ein Auge fuer die
zerstoerende Seite der Natur; er, der frueher ueberall mit vollem warmen
Gefuehl die schaffende Natur gesehen, sieht jetzt nur noch die
zerstoerende Kraft in der Natur. Der Schauplatz des unendlichen Lebens
wandelt sich vor ihm in den Abgrund des ewig offenen Grabs.--"Ha! Nicht
die grosse seltene Not der Welt, diese Fluten, die eure Doerfer wegspuelen,
diese Erdbeben, die eure Staedte verschlingen, ruehren mich; mir
untergraebt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur
verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das n
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