eisen, dass er heute noch nicht zwei Stunden
gespielt hatte, ging hinaus in die Kueche und machte mit denselben
Violinuebungen, die sonst die Zuhoerer in Verzweiflung bringen, dem
traurigen Maedchen das Herz leichter, denn es erkannte die Anhaenglichkeit
des Kindes, und in die tiefe Vereinsamung, die ihr die Taubheit
auferlegte, drang der Ton der Saiten zu ihr als eine Verbindung mit den
Mitmenschen.
9. Kapitel
Bei grimmiger Kaelte.
Das Neujahrsfest brachte grimmige Kaelte, brachte Eis, mehr als zum
Schlittschuhlaufen noetig gewesen waere. Schon beim Erwachen empfand man
die menschenfeindliche Luftstroemung und es gehoerte Heldenmut dazu, aus
den warmen Betten zu schlupfen. In Pfaefflings kalten Schlafzimmern war
das Waschwasser eingefroren, und man musste erst die Eisdecke
einschlagen, ehe man es benuetzen konnte.
Als die Familie sich mit Neujahrswuenschen am Fruehstueckstisch
zusammenfand, galt Herrn Pfaefflings erster Blick dem Thermometer vor dem
Fenster, und er musste das Quecksilber in ungewohnter Tiefe suchen.
"Zwanzig Grad Kaelte," verkuendete er, "Kinder, das habt ihr noch nie
erlebt; und Walburgs Neujahrsgruss lautete: 'Die Wasserleitung ist ueber
Nacht eingefroren.'"
Die Strassen waren ungewoehnlich still, wer nicht hinaus musste, blieb
daheim am warmen Ofen und wer, wie die Brieftraeger, am Neujahrstag ganz
besonders viel durch die kalten Strassen laufen und vor den Haeusern
stehend warten musste, bis die Tueren geoeffnet wurden, der hoerte manches
teilnehmende Wort. Frau Hartwig brachte ihnen bei jedem Gang eine Tasse
warmen Kaffees entgegen. Auch die Familie Pfaeffling hatte ihr Paeckchen
Glueckwunschkarten und -briefe erhalten und unter diesen Briefen war
einer, der noch mehr als Glueckwuensche enthielt. Es war die Antwort auf
Frau Pfaefflings Weihnachtsbrief und er brachte ihr eine warme, dringende
Einladung, sich zum achtzigsten Geburtstag ihrer Mutter, der im Februar
gefeiert werden sollte, einzufinden, damit nach langen Jahren der
Trennung auch _einmal_ wieder die drei Geschwister mit der Mutter in der
alten Heimat vereinigt waeren. So viel Liebe und Anhaenglichkeit sprach
sich aus in den Briefen von Frau Pfaefflings Bruder und Schwester, denen
ein eigenhaendiger, mit zitternder Hand geschriebener Gruss der alten
Mutter beigesetzt war, dass Frau Pfaeffling tief bewegt war und zu ihrem
Mann wehmuetig sagte: "Ach, wenn es nur moeglich waere, aber es ist ja gar
nicht daran zu denken! S
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