"Nein," sagte Herr Pfaeffling, "ich habe gar nichts Auffallendes gehoert."
"Aber es muss doch aus Ihrer Wohnung gekommen sein. Nun ist es schon die
zweite Nacht, dass ich daran aufgewacht bin. Kann es sein, dass eines der
Kinder so Heimweh hat, dass es bei Nacht laut weint? Aus einem der
Schlafzimmer kommt der schmerzliche Ton. Irgend etwas ist nicht in
Ordnung, ich habe schon die Kinder danach gefragt, aber nichts erfahren
koennen."
"Das will ich bald herausbringen," sagte Herr Pfaeffling und ging hinauf.
Er fragte zunaechst nicht, sah sich aber bei Tisch aufmerksam die
Tafelrunde an. Frische, froehliche Gesichter waren es, die nichts
verrieten von naechtlichem Kummer. Oder doch? Ja, eines sah allerdings
blass und ueberwacht aus, ernst und fast wie von Schmerz verzogen. Das war
Anne. Ihr musste etwas fehlen. Er beobachtete sie eine Weile und machte
sich Vorwuerfe, dass er das bisher uebersehen hatte. Wenn die Mutter
dagewesen waere, die haette es bemerkt, auch ohne der Hausfrau Mitteilung.
Nach Tisch, als sich die Kinder zerstreut hatten, hielt er die
Schwestern zurueck.
"Ist dir's nicht gut, Anne?" fragte er.
"O doch!" erwiderte sie rasch und wurde ueber und ueber rot.
"Du meinst wohl, in dem Punkt duerfe man luegen," entgegnete Herr
Pfaeffling, "weil ich lieber hoere, dass du wohl bist. Aber ich moechte
doch auch darueber gern die Wahrheit hoeren." Da senkte sie schon mit
Traenen in den Augen den Kopf, und Herr Pfaeffling wusste, woran er war.
"Warum hast du denn geweint heute nacht?" fragte er, "wenn die Mutter
nicht da ist, muesst ihr mir euren Kummer anvertrauen." Das geschah nun
auch und er erfuhr, dass Anne wieder an Ohrenschmerzen litt. Diese waren
bei Nacht heftig geworden. Marie hatte ihr ein Mittel eingetraeufelt, das
noch vom vergangenen Jahr dastand, und Umschlaege gemacht, aber das hatte
alles nichts geholfen und erst gegen Morgen waren die Schwestern
eingeschlafen. So war es schon zwei Naechte gewesen. Sie hatten es dem
Vater verschweigen wollen, denn Anne mochte nicht zum Ohrenarzt
geschickt werden, sie fuerchtete die Behandlung, fuerchtete auch die grosse
Neujahrsrechnung.
Am Nachmittag sassen aber doch die zwei Schwestern im Wartezimmer des
Arztes. Der Vater hatte der Verzagten Mut gemacht und den Schwestern
vorgehalten, dass Anne so schwerhoerig wie Walburg werden koennte, wenn
etwas versaeumt wuerde.
Der Arzt erkannte das Zwillingspaar gleich wieder. Die zwei
Unzertrennlichen
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