Die Genovevenklause ist frei geworden. Den Sommer ueber wohnte eine Witwe
mit ihrem Soehnchen darin. Eine vornehme Dame, die nach dem Untergang ihres
Ehegluecks aus ihrer bunten Gesellschaft in die Einsamkeit der Klause
fluechtete. Das Haeuslein ist halb in den Berg hineingebaut, ein Kreuz ist
ueber dem Felsen, der Bach fliesst vorbei, ein zahmes Reh grast vor seiner
Tuer. Es vertritt die Hirschkuh der Legende. Dort bei der Genovevenklause
ist meist tiefe Stille; nur ein schmaler Fussweg fuehrt zu ihr hin, und es
ist dort recht einsam. Nur die Heimwehfluh mit dem Hirtenhaus ist ebenso
still.
Nun ist die Frau fortgezogen. Sie musste in die Welt zurueck und hatte
Traenen in den Augen, als sie Abschied nahm.
"Wenn das Grab meines Gatten hier waere, moechte ich nie mehr ausziehen aus
der lieben Klause", sagte sie.
"Sie muessen es wegen Ihres Sohnes", entgegnete ich ihr; "Sie duerfen keinen
Schmerzensreich, keinen Parsival aus ihm machen; Sie muessen ihn
vorbereiten fuer das Leben."
"Mir graut vor dem Leben", sagte Frau Herzeleide und zog davon! ...
Heute war ich in der Direktion. Der Direktor war nicht anwesend, und ich
musste ein wenig warten. Da kam sie zur Tuer herein - Magdalena vom
Forellenhof -, die Frau meines Bruders Joachim. Als sie mich sah, erschrak
sie und strebte zur Tuer wieder hinaus. Ich hielt sie zurueck.
"Was wuenschen Sie, Magdalena? Der Herr Direktor wird gleich hier sein.
Warten Sie nur einige Minuten!"
Sie war aeusserst verwirrt.
"Ich wollte - ich moechte - ich wollte nur anfragen, ob es vielleicht
moeglich sei, dass ich in die Genovevenklause ziehen koennte, da sie frei
geworden ist."
"Gefaellt es Ihnen nicht mehr auf dem Forellenhof?"
Sie wich aus.
"Ich moechte sehr gern in tiefere Einsamkeit."
"Ist Ihr Arzt damit einverstanden?"
"Ja."
Irgendein Angestellter kam und meldete, der Direktor sei zur Bahn
gefahren.
"Nun, dann warten wir jetzt vergebens auf ihn, Magdalena. Wenn es Ihnen
recht ist, gehen wir zusammen nach der Klause und sehen, wie es dort
steht. Ich werde schon dafuer sorgen, dass Sie die Klause bekommen."
"Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Doktor, aber ich moechte Ihnen
meinetwegen den Weg nicht zumuten."
"Nicht der Rede wert; ich gehe jetzt sowieso spazieren. Kommen Sie!"
Ich merkte, wie ungern sie mir folgte. Ihr Gesicht war sehr blass, und ihre
Lippen zuckten. Das ehemals so prachtvolle rotblonde Haar war schwarz
gefaerbt; das veraenderte sie
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