er irgendeine jenen Lastern
aehnliche Unvollkommenheit bei sich hegen und durch die Furcht vor den
zwar proportionierten, aber doch noch immer ungluecklichen Folgen
derselben, gegen sie auf seiner Hut zu sein lernen. Doch dieses gruendet
sich auf den falschen Begriff, welchen Corneille von der Furcht und von
der Reinigung der in der Tragoedie zu erweckenden Leidenschaften hatte,
und widerspricht sich selbst. Denn ich habe schon gezeigt, dass die
Erregung des Mitleids von der Erregung der Furcht unzertrennlich ist und
dass der Boesewicht, wenn es moeglich waere, dass er unsere Furcht erregen
koenne, auch notwendig unser Mitleid erregen muesste. Da er aber dieses, wie
Corneille selbst zugesteht, nicht kann, so kann er auch jenes nicht und
bleibt gaenzlich ungeschickt, die Absicht der Tragoedie erreichen zu
helfen. Ja, Aristoteles haelt ihn hierzu noch fuer ungeschickter als den
ganz tugendhaften Mann; denn er will ausdruecklich, falls man den Held aus
der mittlere Gattung nicht haben koenne, dass man ihn eher besser als
schlimmer waehlen solle. Die Ursache ist klar: ein Mensch kann sehr gut
sein und doch noch mehr als eine Schwachheit haben, mehr als einen Fehler
begehen, wodurch er sich in unabsehliches Unglueck stuerzet, das uns mit
Mitleid und Wehmut erfuellet, ohne im geringsten graesslich zu sein, weil es
die natuerliche Folge seines Fehlers ist.--Was Dubos[2] von dem Gebrauche
der lasterhaften Personen in der Tragoedie sagt, ist das nicht, was
Corneille will. Dubos will sie nur zu den Nebenrollen erlauben, bloss zu
Werkzeugen, die Hauptpersonen weniger schuldig zu machen; bloss zur
Abstechung. Corneille aber will das vornehmste Interesse auf sie beruhen
lassen, so wie in der "Rodogune": und das ist eigentlich, was mit der
Absicht der Tragoedie streitet, und nicht jenes. Dubos merket dabei auch
sehr richtig an, dass das Unglueck dieser subalternen Boesewichter keinen
Eindruck auf uns mache. "Kaum", sagt er, "dass man den Tod des Narciss im
Britannicus bemerkt." Aber also sollte sich der Dichter auch schon
deswegen ihrer so viel als moeglich enthalten. Denn wenn ihr Unglueck die
Absicht der Tragoedie nicht unmittelbar befoerdert, wenn sie blosse
Hilfsmittel sind, durch die sie der Dichter desto besser mit andern
Personen zu erreichen sucht: so ist es unstreitig, dass das Stueck noch
besser sein wuerde, wenn es die naemliche Wirkung ohne sie haette. Je
simpler eine Maschine ist, je weniger Federn und Raeder und Gewichte s
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