erer Kenntnis der Welt. Dass
Beispiele von dem Mangel dieser Kenntnis bei einem Dichter, wie Euripides
war, sehr haeufig sollten gewesen sein, laesst sich nicht wohl annehmen:
auch werden, wo sich dergleichen in seinen uebriggebliebenen Stuecken etwa
finden sollten, sie schwerlich so offenbar sein, dass sie auch einem
gemeinen Leser in die Augen fallen muessten. Es koennen nur Feinheiten sein,
die allein der wahre Kunstrichter zu unterscheiden vermoegend ist; und
auch diesem kann, in einer solchen Entfernung von Zeit, aus Unwissenheit
der griechischen Sitten, wohl etwas als ein Fehler vorkommen, was im
Grunde eine Schoenheit ist. Es wuerde also ein sehr gefaehrliches
Unternehmen sein, die Stellen im Euripides anzeigen zu wollen, welche
Aristoteles diesem Tadel unterworfen zu sein geglaubt hatte. Aber
gleichwohl will ich es wagen, eine anzufuehren, die, wenn ich sie auch
schon nicht nach aller Gerechtigkeit kritisieren sollte, wenigstens meine
Meinung zu erlaeutern dienen kann."
----Fussnote
[1] De arte poet. v. 310. 317. 318.
[2] De Orat. I. 51.
[3] Nach Massgebung der Antiken. Nec enim Phidias, cum faceret Jovis
formam aut Minervae, contemplabatur aliquem e quo similitudinem duceret:
sed ipsius in mente insidebat species pulchritudinis eximia quaedam, quam
intuens in eaque defixus ad illius similitudinem artem et manum
dirigebat. (Cic. Or. 2.)
[4] Plato de Repl., L. X.
[5] "Dichtkunst", Kap. 9.
[6] "Dichtkunst", Kap. 25.
[7] Diese Erklaerung ist der, welche Dacier von der Stelle des Aristoteles
gibt, weit vorzuziehen. Nach den Worten der Uebersetzung scheinet Dacier
zwar eben das zu sagen, was Hurd sagt: que Sophocle faisait ses Heros,
comme ils devaient etre et qu'Euripide les faisait comme ils etaient.
Aber er verbindet im Grunde einen ganz andern Begriff damit. Hurd
versteht unter dem Wie sie sein sollten die allgemeine abstrakte Idee des
Geschlechts, nach welcher der Dichter seine Personen mehr als nach ihren
individuellen Verschiedenheiten schildern muesse. Dacier aber denkt sich
dabei eine hoehere moralische Vollkommenheit, wie sie der Mensch zu
erreichen faehig sei, ob er sie gleich nur selten erreiche; und diese,
sagt er, habe Sophokles seinen Personen gewoehnlicherweise beigelegt:
Sophocle tachait de rendre ses imitations parfaites, en suivant toujours
bien plus ce qu'une belle Nature etait capable de faire, que ce qu'elle
faisait. Allein diese hoehere moralische Vollkommenheit gehoeret ger
|