den sie allem in der Welt
vorzieht; so heftig ist ihre Herrschsucht. Aber alle ihre Verbrechen sind
mit einer gewissen Groesse der Seele verbunden, die so etwas Erhabenes hat,
dass man, indem man ihre Handlungen verdammt, doch die Quelle, woraus sie
entspringen, bewundern muss. Ebendieses getraue ich mir von dem 'Luegner'
zu sagen. Das Luegen ist unstreitig eine lasterhafte Angewohnheit; allein
Dorant bringt seine Luegen mit einer solchen Gegenwart des Geistes, mit so
vieler Lebhaftigkeit vor, dass diese Unvollkommenheit ihm ordentlich wohl
laesst und die Zuschauer gestehen muessen, dass die Gabe, so zu luegen, ein
Laster sei, dessen kein Dummkopf faehig ist."--Wahrlich, einen
verderblichern Einfall haette Corneille nicht haben koennen! Befolget ihn
in der Ausfuehrung, und es ist um alle Wahrheit, um alle Taeuschung, um
allen sittlichen Nutzen der Tragoedie getan! Denn die Tugend, die immer
bescheiden und einfaeltig ist, wird durch jenen glaenzenden Charakter eitel
und romantisch: das Laster aber mit einem Firnis ueberzogen, der uns
ueberall blendet, wir moegen es aus einem Gesichtspunkte nehmen, aus
welchem wir wollen. Torheit, bloss durch die ungluecklichen Folgen von dem
Laster abschrecken wollen, indem man die innere Haesslichkeit desselben
verbirgt! Die Folgen sind zufaellig; und die Erfahrung lehrt, dass sie
ebensooft gluecklich als ungluecklich fallen. Dieses bezieht sich auf die
Reinigung der Leidenschaften, wie sie Corneille sich dachte. Wie ich mir
sie vorstelle, wie sie Aristoteles gelehrt hat, ist sie vollends nicht
mit jenem truegerischen Glanze zu verbinden. Die falsche Folie, die so dem
Laster untergelegt wird, macht, dass ich Vollkommenheiten erkenne, wo
keine sind; macht, dass ich Mitleiden habe, wo ich keines haben sollte.
Zwar hat schon Dacier dieser Erklaerung widersprochen, aber aus
untriftigern Gruenden; und es fehlt nicht viel, dass die, welche er mit dem
Pater Le Bossu dafuer annimmt, nicht ebenso nachteilig ist, wenigstens den
poetischen Vollkommenheiten des Stuecks ebenso nachteilig werden kann. Er
meinet naemlich, "die Sitten sollen gut sein", heisse nichts mehr als, sie
sollen gut ausgedrueckt sein, qu'elles soient bien marquees. Das ist
allerdings eine Regel, die, richtig verstanden, an ihrer Stelle aller
Aufmerksamkeit des dramatischen Dichters wuerdig ist. Aber wenn es die
franzoesischen Muster nur nicht bewiesen, dass man "gut ausdruecken" fuer
stark ausdruecken genommen haette. Man hat den
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