sicht des
Corneille sich vorsetzten. Ich habe schon gesagt, dass Dacier beide
Absichten wollte verbunden wissen: aber auch durch diese blosse Verbindung
wird die erstere geschwaecht, und die Tragoedie muss unter ihrer hoechsten
Wirkung bleiben. Dazu hatte Dacier, wie ich gezeigt, von der erstern nur
einen sehr unvollstaendigen Begriff, und es war kein Wunder, wenn er sich
daher einbildete, dass die franzoesischen Tragoedien seiner Zeit noch eher
die erste, als die zweite Absicht erreichten. "Unsere Tragoedie", sagt er,
"ist, zufolge jener, noch so ziemlich gluecklich, Mitleid und Furcht zu
erwecken und zu reinigen. Aber diese gelingt ihr nur sehr selten, die
doch gleichwohl die wichtigere ist, und sie reiniget die uebrigen
Leidenschaften nur sehr wenig, oder da sie gemeiniglich nichts als
Liebesintrigen enthaelt, wenn sie ja eine davon reinigte, so wuerde es
einzig und allein die Liebe sein, woraus denn klar erhellet, dass ihr
Nutzen nur sehr klein ist.[1] Gerade umgekehrt! Es gibt noch eher
franzoesische Tragoedien, welche der zweiten, als welche der ersten Absicht
ein Genuege leisten. Ich kenne verschiedene franzoesische Stuecke, welche
die ungluecklichen Folgen irgendeiner Leidenschaft recht wohl ins Licht
setzen; aus denen man viele gute Lehren, diese Leidenschaft betreffend,
ziehen kann: aber ich kenne keines, welches mein Mitleid in dem Grade
erregte, in welchem die Tragoedie es erregen sollte, in welchem ich, aus
verschiedenen griechischen und englischen Stuecken gewiss weiss, dass sie es
erregen kann. Verschiedene franzoesische Tragoedien sind sehr feine, sehr
unterrichtende Werke, die ich alles Lobes wert halte: nur, dass es keine
Tragoedien sind. Die Verfasser derselben konnten nicht anders, als sehr
gute Koepfe sein; sie verdienen, zum Teil, unter den Dichtern keinen
geringen Rang: nur dass sie keine tragische Dichter sind; nur dass ihr
Corneille und Racine, ihr Crebillon und Voltaire von dem wenig oder gar
nichts haben, was den Sophokles zum Sophokles, den Euripides zum
Euripides, den Shakespeare zum Shakespeare macht. Diese sind selten mit
den wesentlichen Foderungen des Aristoteles im Widerspruch: aber jene
desto oefterer. Denn nur weiter--
----Fussnote
[1] (Poet. d'Arist. Chap. VI. Rem. 8.) Notre Tragedie peut reussir
assez dans la premiere partie, c'est-a-dire, qu'elle peut exciter et
purger la terreur et la compassion. Mais elle parvient rarement a la
derniere, qui est pourtant la plus utile, elle
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