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TRUEBE AUGEN.
Ida fuehlte einen tiefen Stich im Herzen, als sie die Graefin aus dem Wagen
steigen sah. "Nun adieu, Liebes- und Lebensglueck!" seufzte sie, indem sie
einen trueben Blick ueber Martiniz hinfliegen liess und zur Treppe eilte,
um den erlauchten Gast zu empfangen. "Nun adieu, Liebesglueck, wenn dieses
Weib in mein Leben greift!"
Sie zerdrueckte eine Traene des Unmuts ueber ihr Geschick und ging weiter.
So ungefaehr muss es jenen unschuldigen Tierchen zu Mut sein, wenn sie die
Riesenschlange erblicken und, von ihrem greulichen Anblick uebertaeubt,
nicht auf ihre Flucht denken, sondern in geduldiger Resignation dem
Verderben entgegengehen.
Mit jener Leichtigkeit und Grazie, die man in hoeheren Verhaeltnissen von
Kindheit an studiert, wusste die Graefin schnell ueber das Unangenehme der
ersten Augenblicke hinueberzukommen. Sie war die Freundlichkeit, die
Herzlichkeit selbst. So weit hatte es freilich Ida in der Bildung nicht
gebracht, dass sie denen, die sie nicht lieben konnte, wie ihren waermsten
Freunden begegnete. Auch war _sie_ die Ueberraschte und die Graefin die
Ueberraschende; daher war Ida etwas befangen und zeremonioes beim Empfang
der hohen Dame; aber ihr natuerlicher Takt sagte ihr, dass sie jede andere
Ruecksicht beiseite setzen muesse, um nur die im Auge zu haben, die
Graefin, die nun einmal ihr Gast war, anstaendig und wuerdig zu behandeln.
Um wie viel edler waren die Motive, welche Ida bei ihrem Betragen
leiteten, als die der Graefin! So verschieden als Natur und Kunst.
Die Aarstein wusste gegen jeden, auch wenn sie ihn bitter hasste
und ihm haette den Dolch in den Leib rennen moegen, freundlich und
leutselig zu sein. Sie konnte ihm etwas Verbindliches sagen, wenn
sie das bitterste Wort auf der Zunge hatte. Aber so sind jene
Gesellschaftsmenschen, die nichts Hoeheres kennen, als sich zu
produzieren. Wenn man in ihre Cercles tritt, glaubt man in die alten
Zeiten zu kommen, wo noch alles so bruederlich und freundlich war;
da ist alles uebertuencht, alles hat den schoenen Anstrich der
Geselligkeit; aber man soll nur einmal hinhorchen, wie es da ueber die
ehrlichen Leute hergeht, wie medisant da alles bekrittelt wird, wie da
der Bruder, der Freund gewiss sein darf, von dem, der ihm gerade noch
so schoen getan, ohne Schonung bitter bespoettelt zu werden.
Aber ist es nicht ueberhaupt in der Welt so? Sucht nicht immer einer
dem andern so viel als moeglich A
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