zten nach
und nach diesen Unterschied ins Helle: und wenn Gottsched mit dem
Jahrhunderte nur haette fortgehen wollen, wenn sich seine Einsichten und
sein Geschmack nur zugleich mit den Einsichten und dem Geschmacke seines
Zeitalters haetten verbreiten und laeutern wollen: so haette er vielleicht
wirklich aus dem Versmacher ein Dichter werden koennen. Aber da er sich
schon so oft den groessten Dichter hatte nennen hoeren, da ihn seine
Eitelkeit ueberredet hatte, dass er es sei: so unterblieb jenes. Er konnte
unmoeglich erlangen, was er schon zu besitzen glaubte: und je aelter er
ward, desto hartnaeckiger und unverschaemter ward er, sich in diesem
traeumerischen Besitze zu behaupten.
Gerade so, duenkt mich, ist es den Franzosen ergangen. Kaum riss Corneille
ihr Theater ein wenig aus der Barbarei: so glaubten sie es der
Vollkommenheit schon ganz nahe. Racine schien ihnen die letzte Hand
angelegt zu haben; und hierauf war gar nicht mehr die Frage (die es zwar
auch nie gewesen), ob der tragische Dichter nicht noch pathetischer, noch
ruehrender sein koenne, als Corneille und Racine, sondern dieses ward fuer
unmoeglich angenommen, und alle Beeiferung der nachfolgenden Dichter musste
sich darauf einschraenken, dem einen oder dem andern so aehnlich zu werden
als moeglich. Hundert Jahre haben sie sich selbst, und zum Teil ihre
Nachbarn mit, hintergangen: nun komme einer und sage ihnen das, und hoere,
was sie antworten!
Von beiden aber ist es Corneille, welcher den meisten Schaden gestiftet
und auf ihre tragischen Dichter den verderblichsten Einfluss gehabt hat.
Denn Racine hat nur durch seine Muster verfuehrt; Corneille aber durch
seine Muster und Lehren zugleich.
Diese letztern besonders, von der ganzen Nation (bis auf einen oder zwei
Pedanten, einen Hedelin, einen Dacier, die aber oft selbst nicht wussten,
was sie wollten) als Orakelsprueche angenommen, von allen nachherigen
Dichtern befolgt: haben--ich getraue mich, es Stueck vor Stueck zu
beweisen,--nichts anders, als das kahlste, waessrigste, untragischste Zeug
hervorbringen koennen.
Die Regeln des Aristoteles sind alle auf die hoechste Wirkung der Tragoedie
kalkuliert. Was macht aber Corneille damit? Er traegt sie falsch und
schielend genug vor; und weil er sie doch noch viel zu strenge findet: so
sucht er, bei einer nach der andern, quelque moderation, quelque favorable
interpretation; entkraeftet und verstuemmelt, deutelt und vereitelt eine
jede,--und warum? pour
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