treu nachahmet; sie ahmet sie nur in einer Haelfte
getreu nach und vernachlaessiget die andere Haelfte gaenzlich; sie ahmet die
Natur der Erscheinungen nach, ohne im geringsten auf die Natur unserer
Empfindungen und Seelenkraefte dabei zu achten.
In der Natur ist alles mit allem verbunden; alles durchkreuzt sich, alles
wechselt mit allem, alles veraendert sich eines in das andere. Aber nach
dieser unendlichen Mannigfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel fuer einen
unendlichen Geist. Um endliche Geister an dem Genusse desselben Anteil
nehmen zu lassen, mussten diese das Vermoegen erhalten, ihr Schranken zu
geben, die sie nicht hat; das Vermoegen abzusondern und ihre Aufmerksamkeit
nach Gutduenken lenken zu koennen.
Dieses Vermoegen ueben wir in allen Augenblicken des Lebens; ohne dasselbe
wuerde es fuer uns gar kein Leben geben; wir wuerden vor allzu verschiedenen
Empfindungen nichts empfinden; wir wuerden ein bestaendiger Raub des
gegenwaertigen Eindruckes sein; wir wuerden traeumen, ohne zu wissen, was
wir traeumten.
Die Bestimmung der Kunst ist, uns in dem Reiche des Schoenen dieser
Absonderung zu ueberheben, uns die Fixierung unserer Aufmerksamkeit zu
erleichtern. Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande oder einer
Verbindung verschiedener Gegenstaende, es sei der Zeit oder dem Raume
nach, in unsern Gedanken absondern, oder absondern zu koennen wuenschen,
sondert sie wirklich ab und gewaehrt uns diesen Gegenstand, oder diese
Verbindung verschiedener Gegenstaende, so lauter und buendig, als es nur
immer die Empfindung, die sie erregen sollen, verstattet.
Wenn wir Zeugen von einer wichtigen und ruehrenden Begebenheit sind, und
eine andere von nichtigem Belange laeuft quer ein: so suchen wir der
Zerstreuung, die diese uns drohet, moeglichst auszuweichen. Wir
abstrahieren von ihr; und es muss uns notwendig ekeln, in der Kunst das
wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwuenschten.
Nur wenn ebendieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattierungen
des Interesse annimmt, und eine nicht bloss auf die andere folgt, sondern
so notwendig aus der andern entspringt; wenn der Ernst das Lachen, die
Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, dass uns
die Abstraktion des einen oder des andern unmoeglich faellt: nur alsdenn
verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiss aus dieser
Unmoeglichkeit selbst Vorteil zu ziehen.--
Aber genug hiervon: man sieht schon, wo ich hin
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