s Unglueck so tief
herabgedrueckt habe, dass er weiter nichts fuer sich zu fuerchten saehe, noch
der, welcher sich so vollkommen gluecklich glaube, dass er gar nicht
begreife, woher ihm ein Unglueck zustossen koenne, weder der Verzweifelnde
noch der Uebermuetige, pflege mit andern Mitleid zu haben. Er erklaeret
daher auch das Fuerchterliche und das Mitleidswuerdige, eines durch das
andere. Alles das, sagt er, ist uns fuerchterlich, was, wenn es einem
andern begegnet waere, oder begegnen sollte, unser Mitleid erwecken
wuerde:[1] und alles das finden wir mitleidswuerdig, was wir fuerchten
wuerden, wenn es uns selbst bevorstuende. Nicht genug also, dass der
Unglueckliche, mit dem wir Mitleiden haben sollen, sein Unglueck nicht
verdiene, ob er es sich schon durch irgendeine Schwachheit zugezogen:
seine gequaelte Unschuld, oder vielmehr seine zu hart heimgesuchte Schuld,
sei fuer uns verloren, sei nicht vermoegend, unser Mitleid zu erregen, wenn
wir keine Moeglichkeit saehen, dass uns sein Leiden auch treffen koenne.
Diese Moeglichkeit aber finde sich alsdenn und koenne zu einer grossen
Wahrscheinlichkeit erwachsen, wenn ihn der Dichter nicht schlimmer mache,
als wir gemeiniglich zu sein pflegen, wenn er ihn vollkommen so denken
und handeln lasse, als wir in seinen Umstaenden wuerden gedacht und
gehandelt haben, oder wenigstens glauben, dass wir haetten denken und
handeln muessen: kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne
schildere. Aus dieser Gleichheit entstehe die Furcht, dass unser Schicksal
gar leicht dem seinigen ebenso aehnlich werden koenne, als wir ihm zu sein
uns selbst fuehlen: und diese Furcht sei es, welche das Mitleid gleichsam
zur Reife bringe.
So dachte Aristoteles von dem Mitleiden, und nur hieraus wird die wahre
Ursache begreiflich, warum er in der Erklaerung der Tragoedie, naechst dem
Mitleiden, nur die einzige Furcht nannte. Nicht als ob diese Furcht hier
eine besondere, von dem Mitleiden unabhaengige Leidenschaft sei, welche
bald mit bald ohne dem Mitleid, sowie das Mitleid bald mit bald ohne ihr,
erreget werden koenne; welches die Missdeutung des Corneille war: sondern
weil, nach seiner Erklaerung des Mitleids, dieses die Furcht notwendig
einschliesst; weil nichts unser Mitleid erregt, als was zugleich unsere
Furcht erwecken kann.
Corneille hatte seine Stuecke schon alle geschrieben, als er sich
hinsetzte, ueber die Dichtkunst des Aristoteles zu kommentieren[2]. Er
hatte funfzig Jahre f
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