o wuerde es die Wahrheit wiedergeben, wie sie unerkannter Weise ist. Die
Wahrheit wuerde zum unerkennbaren Ding an sich. Im Erkennen haben wir nicht
ein blosses Bild der Wahrheit sondern die Wahrheit selbst. Es ahmt sie
nicht nach (homoiosis), sondern nimmt an ihr teil (koinonia), sie ist in
ihr gegenwaertig (parusia). Wir nehmen im Erkennen die Wahrheit selbst in
Besitz, nicht bloss ihr Spiegelbild, ihren Abdruck im Bewusstsein. Davon
ueberzeugt uns immer wieder die Reflexion auf den Erkenntnisvorgang.
Wichtig ist, dass wir im Urteile nicht bloss ueber die in ihm vorhandene
Verbindung der Vorstellungen hinausgehen, sondern mit unsrem Denken oder,
wenn wir auch das falsche Urteil beruecksichtigen wollen, wenigstens in
Gedanken in die ueberzeitliche, ewige Welt, die fuer alle Denkenden in
gleicher Weise gilt, hineinreichen und mit ihr im Zusammenhange stehen.
Das ist die Bedeutung der Beziehung auf die Objektivitaet, die mit dem
Bewusstsein der Wahrheit ein und dasselbe ist. Diese ueberzeitliche, ewige,
fuer alle Denkenden gleicherweise geltende Welt ist die Welt, das Reich
oder auch die Region, das System der Wahrheit. Jeder Urteilende tritt mit
jedem Urteil in dieses allem sinnlichen Scheine nicht bloss sondern auch
allem Vergaenglichen, Veraenderlichen so entgegengesetzte Gebiet ein und
fasst in ihm festen Fuss.
Unsere Darlegung erinnert nicht bloss an Spinoza, der alles sub specie
aeternitatis betrachten will, sondern auch an Augustins veritates aeternae
et immutabiles, die ihren Grund nicht in dem veraenderlichen menschlichen
Denken und ebensowenig in den veraenderlichen Dingen der Welt sondern nur
in Gott haben koennen. Sie erinnert ferner an den Satz von Nikolaus von
Cues, der wieder an Eckhart anklingt, dass die ideelle Existenz der Dinge
(in dem Gedanken Gottes) wahrer ist als die in Raum und Zeit erscheinende
koerperliche Existenz. Sie erinnert endlich ganz besonders an die
Ideenlehre Platons. Das, was wir Wahrheit nennen, ist in der That eine
Platonische Idee, oder sie umfasst vielmehr die ganze Ideenwelt Platons,
welche die Erscheinungswelt in ihrem Sein bedingt.
Zweiter Abschnitt.
Die Wahrheit und das Wesen der Dinge.
Sechste Untersuchung.
Wesentliche und nicht wesentliche Merkmale.
Das Erkennen ist auf das Wesentliche gerichtet. Sein Ziel ist das Wesen
der Dinge. Das Wesentliche soll im Gegensatz stehen zu dem Zufaelligen und
scheint dann als das Notwendige, Unentbehrliche betrachtet
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