andere gewandert, wenn
man nicht wuesste, dass die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie, gerade wie
die Naturbildungen, ueberall in Aussehen und Gestaltung eine gewisse
Aehnlichkeit zeigen.
Bei der Muendung des Rio Vichada oder Visata stiegen wir aus, um die
Pflanzen des Landstrichs zu untersuchen. Die Gegend ist hoechst merkwuerdig;
der Wald ist nicht sehr dicht und eine Unzahl kleiner Felsen steht frei
auf der Ebene. Es sind prismatische Steinmassen und sie sehen wie
verfallene Pfeiler, wie einzeln stehende fuenfzehn bis zwanzig Fuss hohe
Thuermchen aus. Die einen sind von den Baeumen des Waldes beschattet, bei
andern ist der Gipfel von Palmen gekroent. Die Felsen sind Granit, der in
Gneiss uebergeht. Befaende man sich hier nicht im Bereich des Urgebirgs, man
glaubte sich in die Felsen von Adersbach in Boehmen oder von Streitberg und
Fantasie in Franken versetzt. Sandstein und secundaerer Kalkstein koennen
keine groteskeren Formen annehmen. An der Muendung des Vichada sind die
Granitfelsen, und was noch weit auffallender ist, der Boden selbst mit
Moosen und Flechten bedeckt. Letztere haben den Habitus von _Cladonia
pyxidata_ und _Lichen rangiferinus_, die im noerdlichen Europa so haeufig
vorkommen. Wir konnten kaum glauben, dass wir uns keine hundert Toisen ueber
dem Meer, unter dem fuenften Breitegrad mitten in der heissen Zone befanden,
von der man so lange glaubte, dass keine kryptogamischen Gewaechse in ihr
vorkommen. Die mittlere Temperatur dieses schattigen feuchten Ortes
betraegt wahrscheinlich ueber 26 Grad des hunderttheiligen Thermometers. In
Betracht des wenigen Regens, der bis jetzt gefallen war, wunderten wir uns
ueber das schoene Gruen der Waelder. Dieser Umstand ist fuer das obere
Orinocothal charakteristisch; an der Kueste von Caracas und in den Llanos
werfen die Baeume ihr Laub im Winter(53) ab und man sieht am Boden nur
gelbes, vertrocknetes Gras. Zwischen den eben beschriebenen freistehenden
Felsen wuchsen mehrere grosse Staemme Saeulencactus (_Cactus
septemangularis_), was suedlich von den Katarakten von Atures und Maypures
eine grosse Seltenheit ist.
Am selben malerischen Ort hatte Bonpland das Glueck, mehrere Staemme von
_Laurus cinnamomoides_ anzutreffen, eines sehr gewuerzreichen Zimmtbaumes,
der am Orinoco unter dem Namen _'Varimacu'_ und _'Canelilla'_ bekannt
ist.(54) Dieses kostbare Produkt kommt auch im Thale des Rio Caura, wie
bei Esmeralda und oestlich von den grossen Katarakten vor.
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