berraschungen geben, und diese Ueberraschungen wuerden noch dazu
vorbereitet genug sein: ohne dass ihr sagen koenntet, sie braechen auf
einmal gleich einem Blitze aus der hellesten Wolke hervor; sie erfolgten
nicht, sondern sie entstaenden; man wolle euch nicht auf einmal etwas
entdecken, sondern etwas aufheften. Und gleichwohl zankt ihr noch mit dem
Dichter? Gleichwohl werft ihr ihm noch Mangel der Kunst vor? Vergebt ihm
doch immer einen Fehler, der mit einem einzigen Striche der Feder gut zu
machen ist. Einen wolluestigen Schoessling schneidet der Gaertner in der
Stille ab, ohne auf den gesunden Baum zu schelten, der ihn getrieben hat.
Wollt ihr aber einen Augenblick annehmen,--es ist wahr, es heisst sehr
viel annehmen--dass Euripides vielleicht ebensoviel Einsicht, ebensoviel
Geschmack koenne gehabt haben, als ihr; und es wundert euch um soviel
mehr, wie er bei dieser grossen Einsicht, bei diesem feinen Geschmacke,
dennoch einen so groben Fehler begehen koennen: so tretet zu mir her und
betrachtet, was ihr Fehler nennt, aus meinem Standorte. Euripides sahe es
so gut, als wir, dass z.E. sein "Ion" ohne den Prolog bestehen koenne; dass
er, ohne denselben, ein Stueck sei, welches die Ungewissheit und Erwartung
des Zuschauers bis an das Ende unterhalte: aber eben an dieser Ungewissheit
und Erwartung war ihm nichts gelegen. Denn erfuhr es der Zuschauer erst
in dem fuenften Akte, dass Ion der Sohn der Kreusa sei: so ist es fuer ihn
nicht ihr Sohn, sondern ein Fremder, ein Feind, den sie in dem dritten
Akte aus dem Wege raeumen will; so ist es fuer ihn nicht die Mutter des
Ion, an welcher sich Ion in dem vierten Akte raechen will, sondern bloss
die Meuchelmoerderin. Wo sollten aber alsdenn Schrecken und Mitleid
herkommen? Die blosse Vermutung, die sich etwa aus uebereintreffenden
Umstaenden haette ziehen lassen, dass Ion und Kreusa einander wohl naeher
angehen koennten, als sie meinen, wuerde dazu nicht hinreichend gewesen
sein. Diese Vermutung musste zur Gewissheit werden; und wenn der Zuhoerer
diese Gewissheit nur von aussen erhalten konnte, wenn es nicht moeglich war,
dass er sie einer von den handelnden Personen selbst zu danken haben
konnte: war es nicht immer besser, dass der Dichter sie ihm auf die
einzige moegliche Weise erteilte, als gar nicht? Sagt von dieser Weise,
was ihr wollt: genug, sie hat ihn sein Ziel erreichen helfen; seine
Tragoedie ist dadurch, was eine Tragoedie sein soll; und wenn ihr noch
unwillig seid,
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