indem Merope
die Axt gegen ihren Sohn erhebet, und auf die Furcht, die jeden Zuschauer
befalle, dass der Streich geschehen werde, ehe der alte Diener dazu kommen
koenne. Aristoteles erwaehnet dieses Kresphonts zwar ohne Namen des
Verfassers; da wir aber bei dem Cicero und mehrern Alten einen
"Kresphont" des Euripides angezogen finden, so wird er wohl kein anderes
als das Werk dieses Dichters gemeiner haben.
Der Pater Tournemine sagt in dem obgedachten Briefe: "Aristoteles, dieser
weise Gesetzgeber des Theaters, hat die Fabel der Merope in die erste
Klasse der tragischen Fabeln gesetzt (a mis ce sujet au premier rang des
sujets tragiques). Euripides hatte sie behandelt, und Aristoteles meldet,
dass, so oft der 'Kresphont' des Euripides auf dem Theater des witzigen
Athens vorgestellet worden, dieses an tragische Meisterstuecke so gewoehnte
Volk ganz ausserordentlich sei betroffen, geruehrt und entzueckt worden."
--Huebsche Phrases, aber nicht viel Wahrheit! Der Pater irret sich in beiden
Punkten. Bei dem letztern hat er den Aristoteles mit dem Plutarch vermengt
und bei dem erstern den Aristoteles nicht recht verstanden. Jenes ist eine
Kleinigkeit, aber ueber dieses verlohnet es der Muehe, ein paar Worte zu
sagen, weil mehrere den Aristoteles ebenso unrecht verstanden haben.
Die Sache verhaelt sich wie folget. Aristoteles untersucht in dem
vierzehnten Kapitel seiner "Dichtkunst", durch was eigentlich fuer
Begebenheiten Schrecken und Mitleid erreget werde. Alle Begebenheiten,
sagt er, muessen entweder unter Freunden oder unter Feinden oder unter
gleichgueltigen Personen vorgehen. Wenn ein Feind seinen Feind toetet,
so erweckt weder der Anschlag noch die Ausfuehrung der Tat sonst weiter
einiges Mitleid als das allgemeine, welches mit dem Anblicke des
Schmerzlichen und Verderblichen ueberhaupt verbunden ist. Und so ist
es auch bei gleichgueltigen Personen. Folglich muessen die tragischen
Begebenheiten sich unter Freunden ereignen; ein Bruder muss den Bruder,
ein Sohn den Vater, eine Mutter den Sohn, ein Sohn die Mutter toeten oder
toeten wollen oder sonst auf eine empfindliche Weise misshandeln oder
misshandeln wollen. Dieses aber kann entweder mit oder ohne Wissen und
Vorbedacht geschehen; und da die Tat entweder vollfuehrt oder nicht
vollfuehrt werden muss, so entstehen daraus vier Klassen von Begebenheiten,
welche den Absichten des Trauerspiels mehr oder weniger entsprechen. Die
erste: wenn die Tat wissentlich, mit voell
|