kann sich mitten in dem Stuecke ereignen, und wenn er schon
bis an das Ende fortdauert, so macht er doch nicht selbst das Ende: so
ist z.E. der Glueckswechsel im "Oedip", der sich bereits zum Schlusse des
vierten Akts aeussert, zu dem aber noch mancherlei Leiden ([Greek: pathos])
hinzukommen, mit welchen sich eigentlich das Stueck schliesset. Gleichfalls
kann das Leiden mitten in dem Stuecke zur Vollziehung gelangen sollen, und
in dem naemlichen Augenblicke durch die Erkennung hintertrieben werden, so
dass durch diese Erkennung das Stueck nichts weniger als geendet ist; wie
in der zweiten "Iphigenia" des Euripides, wo Orestes, auch schon in dem
vierten Akte, von seiner Schwester, die ihn aufzuopfern im Begriffe ist,
erkannt wird. Und wie vollkommen wohl jener tragischste Glueckswechsel mit
der tragischsten Behandlung des Leidens sich in einer und eben derselben
Fabel verbinden lasse, kann man an der "Merope" selbst zeigen. Sie hat
die letztere; aber was hindert es, dass sie nicht auch den ersteren haben
koennte, wenn naemlich Merope, nachdem sie ihren Sohn unter dem Dolche
erkannt, durch ihre Beeiferung, ihn nunmehr auch wider den Polyphont zu
schuetzen, entweder ihr eigenes oder dieses geliebten Sohnes Verderben
befoerderte? Warum koennte sich dieses Stueck nicht ebensowohl mit dem
Untergange der Mutter, als des Tyrannen schliessen? Warum sollte es einem
Dichter nicht freistellen koennen, um unser Mitleiden gegen eine so
zaertliche Mutter auf das hoechste zu treiben, sie durch ihre Zaertlichkeit
selbst ungluecklich werden zu lassen? Oder warum sollte es ihm nicht
erlaubt sein, den Sohn, den er der frommen Rache seiner Mutter entrissen,
gleichwohl den Nachstellungen des Tyrannen unterliegen zu lassen? Wuerde
eine solche Merope, in beiden Faellen, nicht wirklich die beiden
Eigenschaften des besten Trauerspiels verbinden, die man bei dem
Kunstrichter so widersprechend findet?
Ich merke wohl, was das Missverstaendnis veranlasset haben kann. Man hat
sich einen Glueckswechsel aus dem Bessern in das Schlimmere nicht ohne
Leiden, und das durch die Erkennung verhinderte Leiden nicht ohne
Glueckswechsel denken koennen. Gleichwohl kann beides gar wohl ohne das
andere sein; nicht zu erwaehnen, dass auch nicht beides eben die naemliche
Person treffen muss, und wenn es die naemliche Person trifft, dass eben
nicht beides sich zu der naemlichen Zeit ereignen darf, sondern eines auf
das andere folgen, eines durch das andere verursachet
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