vor dem Grabe lange stehen:
es war wie in einer Shakespeare'schen Tragoedie.
Hoch ragen ueber der Bruecke San Luigi die zackigen Felsen empor, welche die
Schlucht umfassen. Sie selber steigt hier ploetzlich auf, unvermittelt in
romantischer Wildniss. Ein einzelner Felsenkegel erhebt sich aus ihrer
Mitte und endet mit spitzem Gipfel. Zahlreiche Grotten versenken sich in
den Stein. Rosmarin und Wolfsmilch, Wachholder und grossbluethige Malven
(_Lavatera maritima_) klammern sich an jeden Vorsprung der Felsen an und
beleben ihre Eintoenigkeit. Unten gruent Alles von ueppigem Pflanzenwuchs.
Ein kleiner Bach rauscht abwaerts in den Felsenspalten und bildet dann
zierliche Wasserfaelle. Ein Theil des Wassers wird in einen kleinen
Aquaeduct gefasst, der in malerischen Windungen abwaerts laeuft, dann mit
gewoelbtem Bogen den Bach ueberschreitet. Wie effectvoll Alles vereint in
diesem engen Raume: es ist fast wie eine Theaterdecoration!
An jener so ueberaus warmen Stelle der Riviera bildet diese Felsenschlucht
wohl noch den waermsten Ort. Durch hohe Berge geschuetzt und umfasst, steht
sie den suedlichen Winden nur offen. In dieser Schlucht beginnen schon im
December die Veilchen zu bluehen. Die Schwalben verlassen sie nie. Die
Eidechsen sollen ihres Winterschlafs hier vergessen. An Nahrung ist stets
Ueberfluss. Insekten durchschwirren die Luft, und die Spinne spannt ihr
Netz auch im Winter, um sie zu fangen.
VI.
Niemand sollte es versaeumen, von Bordighera oder von Mentone aus, einen
Ausflug nach La Mortola, dem Garten des Herrn Thomas Hanbury, zu
unternehmen. Der Eintritt wird Montag und Freitag Nachmittag gegen Zahlung
von je einem Franc gestattet. Dieses Geld dient zur Unterstuetzung des
Krankenhauses von Ventimiglia. Wer eingehende Studien im Garten machen
will, erhaelt hierzu vom Besitzer jederzeit Erlaubniss. Frueher Eigenthum der
Familie Orengo in Ventimiglia, traegt auch heute noch die schoene Villa im
Garten, welche Herr Thomas Hanbury bewohnt, den Namen des Palazzo Orengo.
Als Herr Hanbury diese Besitzung im Jahre 1866 erwarb, war sie von einem
mageren Olivenhain bedeckt. Ludwig Winter hat sie in den feenhaften Garten
verwandelt, der jetzt den Besucher entzueckt. Der Garten deckt eine Flaeche
von ungefaehr vierzig Hektaren und faellt von der Kunststrasse, welche das
Dorf Mortola in hundert Meter Hoehe durchzieht, bis zum Meere ab. Die in
dem Numullitenkalk tief gerissene Schlucht
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