graesslichste, das sie ersinnen konnten. O wie grausig waren die Bilder,
die ihr vorschwebten! Hin und her ging sie in ihrem Zimmer und sprach
halblaut mit ihrem Sohn, wie wenn er sie hoeren koennte: "Du mein guter,
tapferer, treuer Sohn! So ganz allein. So weit fort von mir. Was haben
sie dir getan? Wirst du noch immer gequaelt und gepeinigt? Oder bist du
erloest von allem Leid, selig aufgenommen als einer, der reinen Herzens
ist und Gott schauen darf? O, die schreckliche Ungewissheit!"
An der Zimmertuere wurde geklopft, das Dienstmaedchen rief: "Frau Doktor,
die Schustersfrau aus dem Hinterhaus ist da und fragt nach Ihnen."
"Sie soll morgen kommen."
"Aber sie tut ganz verzweifelt. Sie hat schlechte Nachrichten."
"Ich habe auch schlechte und kann ihr keine guten verschaffen."
Das Maedchen wagte nichts mehr einzuwenden; aber dem fassungslosen jungen
Weib, das auf Trost und Hilfe wartete, gab sie auf eigene Verantwortung
den Bescheid: "Frau Doktor kommt gleich." Sie kannte ja ihre Frau; die
konnte wohl einmal schroff und abweisend sein, aber schliesslich half sie
doch immer. Auch diesmal. Nach kurzer Zeit kam sie ruhig und gefasst
heraus; kaum war ihr noch anzumerken, wie sie mit sich gekaempft hatte,
um wieder tapfer zu sein. Frau Siebel, die Schustersfrau, merkte
jedenfalls nichts davon; sie war vollstaendig vom eigenen Leid
hingenommen. Ihr lauter Jammer hatte auch Helene und die Kinder
herbeigerufen. Schluchzend zeigte sie eine Postkarte, die besagte, dass
ihr Mann schwer verwundet in der Pfalz liege und sich nach einem Besuch
von ihr sehne. "Sicher ist er schon tot," rief die junge Frau und hoerte
gar nicht auf die ermutigenden Worte, mit denen ihr von allen Seiten
zugesprochen wurde. Sie wusste ganz gewiss, ihr Mann war tot.
"Dann wollen Sie also nicht in das Lazarett reisen?" fragte Frau Dr.
Stegemann kurz.
"Ei doch," sagte Frau Siebel, "deshalb wollte ich ja Frau Doktor um Rat
fragen, ich waere so gern noch diese Nacht abgereist."
"So, nun sehen Sie, Sie glauben ja selbst, dass Ihr Mann noch lebt. Nun
lassen Sie auch das Weinen, dazu haben Sie Zeit in der Bahn; jetzt
muessen Sie fuer Ihr Kind sorgen, was machen Sie mit dem?"
"Das ist's ja eben, ohne mein Buberl kann ich nicht fort. Ich habe es
die neun Monate nie aus der Hand gegeben. Ich vergehe vor Angst, wenn
ich das Kind hier lasse!"
"So wollen Sie es mit auf die weite Reise nehmen?"
"Nein, nein, das waere gar nicht auszuhalten, es zah
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