genueber." Sie
betraten einen kleinen Saal mit mehreren Betten, die meisten standen
leer, denn die Verwundeten waren schon so weit hergestellt, dass sie sich
im Garten aufhalten konnten; aber einer stand am weit geoeffneten
Fenster, durch das der Duft bluehender Linden hereinstroemte. "Das ist der
Blinde," sagte Gebhard und fuehrte ihm die Mutter zu. Helene blickte zu
ihm auf. Nein, es war kein schlimmer Anblick: ein Band war um seine
Stirne gebunden und an diesem waren zwei kleine Tuechlein befestigt, die
die Augenhoehlen verdeckten. Sie gab dem Verwundeten die Hand. "Mein Mann
hat auch beide Augen verloren," sagte sie mit tiefer Bewegung. Der
Blinde hoerte es ihrem Ton an. "Es ist freilich traurig," sagte er, "auch
fuer die Frauen. Die meinige hat auch gejammert. Aber man muss es halt
hinnehmen und auf Gott vertrauen. Wenn man erst eine Beschaeftigung
gelernt hat, wird einem die Zeit nicht mehr so lang. Ich habe jeden
Nachmittag Unterricht."
"Darf ich manchmal vormittags zu Ihnen kommen und Ihnen etwas vorlesen?"
"Ja, das waere mir wohl recht."
Ein Verwundeter, den Arm in der Binde, kam, er fuehrte den blinden
Kameraden zum Unterricht. Helene verabschiedete sich. Draussen sprach sie
mit der Schwester. "Darf ich oefter kommen?" fragte sie, "ich moechte so
gerne mehr von ihm hoeren," und zaghaft fuegte sie hinzu: "Ich moechte ihn
auch ohne die Binde sehen."
"Ja, kommen Sie nur, so oft Sie wollen. Die Binde traegt er bloss, wenn
er ueber die Strasse geht. Sie werden sich schnell an den Anblick
gewoehnen--wir Schwestern und seine Kameraden denken gar nicht mehr
daran, das ist nicht so schlimm!"
Erleichterten Herzens verliess Helene das Gebaeude. Der Blinde, die
Kameraden, die Schwester, sie alle waren so ruhig gewesen. Es war nicht
so schwer, als sie sich eingebildet hatte, gewiss nicht. Gleich morgen
wollte sie wiederkommen, denn wer konnte wissen, wann ihr eigener
geliebter Blinder kommen wuerde? Jeden Tag konnte das sein und er sollte
sie nicht mehr feig und schwach sehen, nein, wahrhaftig, er verdiente
eine tapfere Frau, und das wollte sie ihm sein!
Im Hof unten wartete schon neben seinem neuen Herrn stehend Leo, der
Sanitaetshund. Er trug heute zum erstenmal die feldgraue, mit dem roten
Kreuz geschmueckte Decke. Mit freudigem Bellen sprang er auf Gebhard zu.
"Heute sollst du sein Meisterstueck sehen, Gebhard," sagte der
Hundefuehrer. "Morgen wird's aber auch ernst, wir reisen in aller Fruehe
ab, gleich
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