n auch, das weiss ich, ein
grauenvoller Anblick, und dies quaelt mich vor allem bei dem Gedanken an
meine junge, weiche, fein empfindende Frau, die so etwas nicht ertragen
kann." Das Vorlesen wurde unterbrochen durch einen schmerzlichen
Aufschrei: "O Mutter, wie grausig!" Laut schluchzend drueckte Helene
beide Haende vor das Gesicht, wie wenn sie verdecken wollte, was sie im
Geist vor sich sah. Sie weinte bitterlich, es war nicht moeglich, weiter
vorzulesen. Mitleidig sah die Mutter auf die Trostlose. "Fasse dich,
Helene; nicht wahr, wir wussten schon lange, dass er in den Haenden
grausamer Feinde war, und hatten uns auf das Schlimmste vorbereitet."
"Ich nicht, Mutter, ich habe mir solch schreckliche Gedanken immer fern
gehalten."
Das konnte Frau Stegemann nicht begreifen. In ihrer Natur lag es, fest
ins Auge zu fassen, was kommen musste. "Helene," sagte sie vorwurfsvoll,
"du wolltest doch tapfer sein!"
"Verzeih! Ich kann nicht, es ist zu schrecklich!" Vor der Tuere liess sich
eine Stimme hoeren.
"Grossmutter, darf ich kommen?" und Gebhard trat ein; er sah sein
Muetterlein aufgeloest in Traenen, daneben die Grossmutter mit dem strengen
Ausdruck, den er kannte. Ihm war er vertraut, aber die Mutter fuerchtete
ihn, das wusste er. Und als er sie so im Jammer sah, erregte es ihn, er
vergass sich und rief mit zornigem Ausdruck, waehrend ihm die Roete ins
Gesicht stieg: "Grossmutter, so darf man nicht mit der Mutter reden, dass
sie so weinen muss, das leidet der Vater nicht!"
Die Grossmutter, die ihm sonst nie solch ungebaerdiges Auftreten hingehen
liess, uebersah es diesmal; denn sein ritterliches Eintreten fuer die
Mutter gefiel ihr.
"Ich habe deine Mutter nicht traurig gemacht," sagte sie, "sondern
dieser Brief, obgleich darin steht, dass der Vater bald kommt. Nun sieh
nur zu, wie du sie troestest. Du kannst mit ihr den Brief fertig lesen!"
Sie gab das Blatt in seine Hand und verliess die beiden. Gebhard stand
ratlos mit dem Brief, denn eine fremde Handschrift war ihm noch eine
schwere Aufgabe.
"Vorlesen kann ich nicht," sagte er, "und troesten auch nicht."
Da raffte sich Helene zusammen: "Nein, mein armer, lieber Bub, du sollst
mich nicht troesten, du tust mir ja selbst so leid. Ich will dir sagen,
warum ich weine: Sieh, der Vater, dein herzlieber Vater, ist blind;
seine lieben, schoenen Augen sind ihm zerstoert worden aus Rache, weil er
die Deutschen nicht an die Russen verraten wollte." Sie zog ihn an si
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