sagte man damals nicht, und es klaenge mir zu
fremdartig; "Kinderfraeulein" passte nicht zur Bescheidenheit unseres Hauses
und wuerde ihrer Taetigkeit nicht gerecht. So will ich sie, wie ehedem im
Leben, die alte Viktor heissen.
Sie war die Tochter eines Handelsgaertners und Buergermeisters von Schongau,
kam zu meinen Eltern, als ich zwei Jahre alt war, und starb vierunddreissig
Jahre spaeter in meinem Hause.
Sie war eine angehende Dreissigerin, als sie kam, nicht ganz frei von
altmaedchenhafter Empfindlichkeit, aber so lebenstuechtig, dass sie bald die
unentbehrliche Beraterin und Helferin war.
In schweren Stunden zeigte sie ihre resolute Art, tat immer das Richtige
und Notwendige, und kein Schmerz konnte sie verhindern, an alles zu denken
und fuer alles zu sorgen.
Nur in ruhigen Zeiten und ganz besonders, wenn lebhaftere Heiterkeit
vorherrschte, konnte sie in weltschmerzliches Mitleid mit sich selber
verfallen und in ihr Tagebuch ein gefuehlvolles Gedicht aus Zeitschriften
oder Buechern abschreiben. Sie besass eine ausgesprochene Neigung fuer die
schoene Literatur und eine Neigung, sich darueber zu unterhalten.
Dabei war sie eine gruendlich geschulte Kennerin aller Pflanzen, Kraeuter
und Blumen, sie botanisierte auf jedem Spaziergange und klebte die
gepressten Herbarien in ein Buch ein.
Ihr Vater war in den vierziger Jahren Landtagsabgeordneter gewesen und
hatte seiner Tochter eine gruendliche Abneigung gegen jede Art von
Rueckschritt und Tyrannei vererbt.
Sie blieb zeitlebens misstrauisch gegen zukuenftige Moeglichkeiten, und sie
war ueberzeugt, dass von irgendwoher und von irgendwem Unterdrueckung drohe.
So frommglaeubig sie war, nahm sie doch "eine gewisse Art von Geistlichen"
von diesem Verdacht nicht aus.
Sie sah in dem Dogma und in der Art, wie es durchgesetzt wurde, nur die
Bestaetigung ihrer schlimmen Ahnungen und den Beweis dafuer, dass es
allgemach wieder finsterer werde.
Sie war gluecklich, wenn sie sich darueber aussprechen konnte oder wenn gar
der Herr Oberfoerster ihr beipflichtend sagte, dass die "Viktor wieder
einmal durchaus recht habe".
Fuer die kleinen Leute trat sie immer ein, auch wenn ihnen niemand zu nahe
trat; sie stellte den unwirklichen Gefahren ebenso nachdruecklich ihre
Prinzipien entgegen.
Alle im Hause schaetzten ihre brave Art, und der Jagdgehilfe Thomas Bauer,
der ein Paar gute Augen hatte und ein sicheres Urteil, schloss mit ihr
dauerhafte Freundschaft.
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