wollen; er hat es
lediglich mit unserm Verstande, nicht mit unserm Herzen zu tun, dieses
mag befriediget werden oder nicht, wenn jener nur erleuchtet wird. Das
Drama hingegen macht auf eine einzige, bestimmte, aus seiner Fabel
fliessende Lehre keinen Anspruch; es gehet entweder auf die
Leidenschaften, welche der Verlauf und die Gluecksveraenderungen seiner
Fabel anzufachen und zu unterhalten vermoegend sind, oder auf das
Vergnuegen, welches eine wahre und lebhafte Schilderung der Sitten und
Charaktere gewaehret; und beides erfordert eine gewisse Vollstaendigkeit
der Handlung, ein gewisses befriedigendes Ende, welches wir bei der
moralischen Erzaehlung nicht vermissen, weil alle unsere Aufmerksamkeit
auf den allgemeinen Satz gelenkt wird, von welchem der einzelne Fall
derselben ein so einleuchtendes Beispiel gibt.
Wenn es also wahr ist, dass Marmontel durch seine Erzaehlung lehren wollte,
die Liebe lasse sich nicht erzwingen, sie muesse durch Nachsicht und
Gefaelligkeit, nicht durch Ansehen und Gewalt erhalten werden: so hatte er
recht, so aufzuhoeren, wie er aufhoert. Die unbaendige Roxelane wird durch
nichts als Nachgeben gewonnen; was wir dabei von ihrem und des Sultans
Charakter denken, ist ihm ganz gleichgueltig, moegen wir sie doch immer fuer
eine Naerrin und ihn fuer nichts Bessers halten. Auch hat er gar nicht
Ursache, uns wegen der Folge zu beruhigen; es mag uns immer noch so
wahrscheinlich sein, dass den Sultan seine blinde Gefaelligkeit bald
gereuen werde: was geht das ihn an? Er wollte uns zeigen, was die
Gefaelligkeit ueber das Frauenzimmer ueberhaupt vermag; er nahm also eines
der wildesten; unbekuemmert, ob es eine solche Gefaelligkeit wert sei
oder nicht.
Allein, als Favart diese Erzaehlung auf das Theater bringen wollte, so
empfand er bald, dass durch die dramatische Form die Intuition des
moralischen Satzes groesstenteils verloren gehe und dass, wenn sie auch
vollkommen erhalten werden koenne, das daraus erwachsende Vergnuegen doch
nicht so gross und lebhaft sei, dass man dabei ein anderes, welches dem
Drama wesentlicher ist, entbehren koenne. Ich meine das Vergnuegen, welches
uns ebenso rein gedachte als richtig gezeichnete Charaktere gewaehren.
Nichts beleidiget uns aber, von seiten dieser, mehr als der Widerspruch,
in welchem wir ihren moralischen Wert oder Unwert mit der Behandlung des
Dichters finden; wenn wir finden, dass sich dieser entweder selbst damit
betrogen hat oder uns wenigstens damit
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