ein Exempel erlaeutern wollen. Doch diese Lehre
waere unstreitig zu allgemein, und er entdeckt uns in der Vorrede selbst,
dass er eine ganz andere und weit speziellere dabei zur Absicht gehabt.
"Ich nahm mir vor", sagt er, "die Torheit derjenigen zu zeigen, welche
ein Frauenzimmer durch Ansehen und Gewalt zur Gefaelligkeit bringen
wollen; ich waehlte also zum Beispiele einen Sultan und eine Sklavin, als
die zwei Extrema der Herrschaft und Abhaengigkeit." Allein Marmontel muss
sicherlich auch diesen seinen Vorsatz waehrend der Ausarbeitung vergessen
haben; fast nichts zielet dahin ab; man sieht nicht den geringsten
Versuch einiger Gewaltsamkeit von seiten des Sultans; er ist gleich
bei den ersten Insolenzen, die ihm die galante Franzoesin sagt, der
zurueckhaltendste, nachgebendste, gefaelligste, folgsamste, untertaenigste
Mann, la meilleure pate de mari, als kaum in Frankreich zu finden sein
wuerde. Also nur gerade heraus; entweder es liegt gar keine Moral in
dieser Erzaehlung des Marmontel, oder es ist die, auf welche ich, oben
bei dem Charakter des Sultans, gewiesen: der Kaefer, wenn er alle Blumen
durchschwaermt hat, bleibt endlich auf dem Miste liegen.
Doch Moral oder keine Moral; dem dramatischen Dichter ist es gleich viel,
ob sich aus seiner Fabel eine allgemeine Wahrheit folgern laesst oder
nicht; und also war die Erzaehlung des Marmontel darum nichts mehr und
nichts weniger geschickt, auf das Theater gebracht zu werden. Das tat
Favart, und sehr gluecklich. Ich rate allen, die unter uns das Theater aus
aehnlichen Erzaehlungen bereichern wollen, die Favartsche Ausfuehrung mit
dem Marmontelschen Urstoffe zusammenzuhalten. Wenn sie die Gabe zu
abstrahieren haben, so werden ihnen die geringsten Veraenderungen, die
dieser gelitten und zum Teil leiden muessen, lehrreich sein, und ihre
Empfindung wird sie auf manchen Handgriff leiten, der ihrer blossen
Spekulation wohl unentdeckt geblieben waere, den noch kein Kritikus zur
Regel generalisieret hat, ob er es schon verdiente, und der oefters mehr
Wahrheit, mehr Leben in ihr Stueck bringen wird, als alle die mechanischen
Gesetze, mit denen sich kahle Kunstrichter herumschlagen, und deren
Beobachtung sie lieber, dem Genie zum Trotze, zur einzigen Quelle der
Vollkommenheit eines Dramas machen moechten.
Ich will nur bei einer von diesen Veraenderungen stehenbleiben. Aber ich
muss vorher das Urteil anfuehren, welches Franzosen selbst ueber das Stueck
gefaellt haben.[1] Anfang
|