Zeit von vierundzwanzig Stunden, nicht wie ein Koenig, dem alle
Augenblicke Gelegenheiten dazu darbieten, grosse Handlungen verrichten
koenne. Man muesse zum voraus annehmen, dass er ein rechtschaffener Mann
sei, wie er beschrieben werde; und genug, dass Julie, ihre Mutter,
Clarisse, Eduard, lauter rechtschaffene Leute, ihn dafuer erkannt haetten."
Es ist recht wohl gehandelt, wenn man, im gemeinen Leben, in den
Charakter anderer kein beleidigendes Misstrauen setzt; wenn man dem
Zeugnisse, das sich ehrliche Leute untereinander erteilen, allen Glauben
beimisst. Aber darf uns der dramatische Dichter mit dieser Regel der
Billigkeit abspeisen? Gewiss nicht; ob er sich schon sein Geschaeft dadurch
sehr leicht machen koennte. Wir wollen es auf der Buehne sehen, wer die
Menschen sind, und koennen es nur aus ihren Taten sehen. Das Gute, das wir
ihnen, bloss auf anderer Wort, zutrauen sollen, kann uns unmoeglich fuer sie
interessieren; es laesst uns voellig gleichgueltig, und wenn wir nie die
geringste eigene Erfahrung davon erhalten, so hat es sogar eine ueble
Rueckwirkung auf diejenigen, auf deren Treu und Glauben wir es einzig und
allein annehmen sollen. Weit gefehlt also, dass wir deswegen, weil Julie,
ihre Mutter, Clarisse, Eduard, den Siegmund fuer den vortrefflichsten,
vollkommensten jungen Menschen erklaeren, ihn auch dafuer zu erkennen
bereit sein sollten: so fangen wir vielmehr an, in die Einsicht aller
dieser Personen ein Misstrauen zu setzen, wenn wir nie mit unsern eigenen
Augen etwas sehen, was ihre guenstige Meinung rechtfertiget. Es ist wahr,
in vierundzwanzig Stunden kann eine Privatperson nicht viel grosse
Handlungen verrichten. Aber wer verlangt denn grosse? Auch in den
kleinsten kann sich der Charakter schildern; und nur die, welche das
meiste Licht auf ihn werfen, sind, nach der poetischen Schaetzung, die
groessten. Wie traf es sich denn indes, dass vierundzwanzig Stunden Zeit
genug waren, dem Siegmund zu den zwei aeussersten Narrheiten Gelegenheit zu
schaffen, die einem Menschen in seinen Umstaenden nur immer einfallen
koennen? Die Gelegenheiten sind auch darnach; koennte der Verfasser
antworten: doch das wird er wohl nicht. Sie moechten aber noch so
natuerlich herbeigefuehret, noch so fein behandelt sein: so wuerden darum
die Narrheiten selbst, die wir ihn zu begehen im Begriffe sehen, ihre
ueble Wirkung auf unsere Idee von dem jungen stuermischen Scheinweisen
nicht verlieren. Dass er schlecht handele, sehe
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