oss darauf an,
unter zwei Uebeln das kleinste zu waehlen; entweder Verstand und Nachdruck
der Versifikation, oder diese jenen aufzuopfern. Dem Houdar de la Motte
war seine Meinung zu vergeben; er hatte eine Sprache in Gedanken, in der
das Metrische der Poesie nur Kitzelung der Ohren ist und zur Verstaerkung
des Ausdrucks nichts beitragen kann; in der unsrigen hingegen ist es
etwas mehr, und wir koennen der griechischen ungleich naeher kommen, die
durch den blossen Rhythmus ihrer Versarten die Leidenschaften, die darin
ausgedrueckt werden, anzudeuten vermag. Die franzoesischen Verse haben
nichts als den Wert der ueberstandenen Schwierigkeit fuer sich; und
freilich ist dieses nur ein sehr elender Wert.
Die Rolle des Antenors hat Herr Borchers ungemein wohl gespielt; mit
aller der Besonnenheit und Heiterkeit, die einem Boesewichte von grossem
Verstande so natuerlich zu sein scheinen. Kein misslungener Anschlag wird
ihn in Verlegenheit setzen; er ist an immer neuen Raenken unerschoepflich;
er besinnt sich kaum, und der unerwartetste Streich, der ihn in seiner
Bloesse darzustellen drohte, empfaengt eine Wendung, die ihm die Larve nur
noch fester aufdrueckt. Diesen Charakter nicht zu verderben, ist von
seiten des Schauspielers das getreueste Gedaechtnis, die fertigste Stimme,
die freieste, nachlaessigste Aktion unumgaenglich noetig. Hr. Borchers hat
ueberhaupt sehr viele Talente, und schon das muss ein guenstiges Vorurteil
fuer ihn erwecken, dass er sich in alten Rollen ebenso gern uebet, als in
jungen. Dieses zeuget von seiner Liebe zur Kunst; und der Kenner
unterscheidet ihn sogleich von so vielen andern jungen Schauspielern, die
nur immer auf der Buehne glaenzen wollen, und deren kleine Eitelkeit, sich
in lauter galanten liebenswuerdigen Rollen begaffen und bewundern zu
lassen, ihr vornehmster, auch wohl oefters ihr einziger Beruf zum
Theater ist.
Zwanzigstes Stueck
Den 7. Julius 1767
Den dreiundzwanzigsten Abend (freitags, den 22. Mai) ward "Cenie"
aufgefuehret.
Dieses vortreffliche Stueck der Graffigny musste der Gottschedin zum
Uebersetzen in die Haende fallen. Nach dem Bekenntnisse, welches sie von
sich selbst ablegt, "dass sie die Ehre, welche man durch Uebersetzung oder
auch Verfertigung theatralischer Stuecke erwerben koenne, allezeit nur fuer
sehr mittelmaessig gehalten habe", laesst sich leicht vermuten, dass sie,
diese mittelmaessige Ehre zu erlangen, auch nur sehr mittelmaessige Muehe
werde angewe
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