ich, meine Meinung von den Titeln der Komoedien ueberhaupt schon einmal
geaeussert zu haben. Es koennte sein, dass die Sache so unbedeutend nicht
waere. Mancher Stuemper hat zu einem schoenen Titel eine schlechte Komoedie
gemacht; und bloss des schoenen Titels wegen. Ich moechte doch lieber eine
gute Komoedie mit einem schlechten Titel. Wenn man nachfragt, was fuer
Charaktere bereits bearbeitet worden, so wird kaum einer zu erdenken
sein, nach welchem, besonders die Franzosen, nicht schon ein Stueck
genannt haetten. Der ist laengst dagewesen! ruft man. Der auch schon!
Dieser wuerde vom Moliere, jener vom Destouches entlehnet sein! Entlehnet?
Das koemmt aus den schoenen Titeln. Was fuer ein Eigentumsrecht erhaelt ein
Dichter auf einen gewissen Charakter dadurch, dass er seinen Titel davon
hergenommen? Wenn er ihn stillschweigend gebraucht haette, so wuerde ich
ihn wiederum stillschweigend brauchen duerfen, und niemand wuerde mich
darueber zum Nachahmer machen. Aber so wage es einer einmal, und mache
z.E. einen neuen Misanthropen. Wenn er auch keinen Zug von dem
Moliereschen nimmt, so wird sein Misanthrop doch immer nur eine Kopie
heissen. Genug, dass Moliere den Namen zuerst gebraucht hat. Jener hat
unrecht, dass er funfzig Jahr spaeter lebet; und dass die Sprache fuer die
unendlichen Varietaeten des menschlichen Gemuets nicht auch unendliche
Benennungen hat.
Wenn der Titel "Nanine" nichts sagt, so sagt der andere Titel desto mehr:
"Nanine, oder das besiegte Vorurteil". Und warum soll ein Stueck nicht
zwei Titel haben? Haben wir Menschen doch auch zwei, drei Namen. Die
Namen sind der Unterscheidung wegen; und mit zwei Namen ist die
Verwechselung schwerer, als mit einem. Wegen des zweiten Titels scheinet
der Herr von Voltaire noch nicht recht einig mit sich gewesen zu sein. In
der naemlichen Ausgabe seiner Werke heisst er auf einem Blatte "Das
besiegte Vorurteil"; und auf dem andern "Der Mann ohne Vorurteil". Doch
beides ist nicht weit auseinander. Es ist von dem Vorurteile, dass zu
einer vernuenftigen Ehe die Gleichheit der Geburt und des Standes
erforderlich sei, die Rede. Kurz, die Geschichte der Nanine ist die
Geschichte der Pamela. Ohne Zweifel wollte der Herr von Voltaire den
Namen Pamela nicht brauchen, weil schon einige Jahre vorher ein paar
Stuecke unter diesem Namen erschienen waren, und eben kein grosses Glueck
gemacht hatten. Die "Pamela" des Boissy und des de la Chaussee sind auch
ziemlich kahle Stuecke; und
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