iess. Bei der
ersten Vorstellung sassen die Zuschauer noch mit auf dem Theater; und ich
haette wohl ein altvaetrisches Gespenst in einem so galanten Zirkel moegen
erscheinen sehen. Erst bei den folgenden Vorstellungen ward dieser
Unschicklichkeit abgeholfen; die Akteurs machten sich ihre Buehne frei;
und was damals nur eine Ausnahme, zum Besten eines so ausserordentlichen
Stueckes, war, ist nach der Zeit die bestaendige Einrichtung geworden. Aber
vornehmlich nur fuer die Buehne in Paris; fuer die, wie gesagt, "Semiramis"
in diesem Stuecke Epoche macht. In den Provinzen bleibet man noch haeufig
bei der alten Mode, und will lieber aller Illusion, als dem Vorrechte
entsagen, den Zairen und Meropen auf die Schleppe treten zu koennen.
Eilftes Stueck
Den 5. Junius 1767
Die Erscheinung eines Geistes war in einem franzoesischen Trauerspiele
eine so kuehne Neuheit, und der Dichter, der sie wagte, rechtfertiget sie
mit so eignen Gruenden, dass es sich der Muehe lohnet, einen Augenblick
dabei zu verweilen.
"Man schrie und schrieb von allen Seiten", sagt der Herr von Voltaire,
"dass man an Gespenster nicht mehr glaube und dass die Erscheinung der
Toten, in den Augen einer erleuchteten Nation, nicht anders als kindisch
sein koenne." "Wie?" versetzt er dagegen; "das ganze Altertum haette diese
Wunder geglaubt, und es sollte nicht vergoennt sein, sich nach dem
Altertume zu richten? Wie? unsere Religion haette dergleichen
ausserordentliche Fuegungen der Vorsicht geheiliget, und es sollte
laecherlich sein, sie zu erneuern?"
Diese Ausrufungen, duenkt mich, sind rhetorischer, als gruendlich. Vor
allen Dingen wuenschte ich, die Religion hier aus dem Spiele zu lassen. In
Dingen des Geschmacks und der Kritik sind Gruende, aus ihr genommen, recht
gut, seinen Gegner zum Stillschweigen zu bringen, aber nicht so recht
tauglich, ihn zu ueberzeugen. Die Religion, als Religion, muss hier nichts
entscheiden sollen; nur als eine Art von Ueberlieferung des Altertums,
gilt ihr Zeugnis nicht mehr und nicht weniger, als andere Zeugnisse des
Altertums gelten. Und sonach haetten wir es auch hier nur mit dem
Altertume zu tun.
Sehr wohl; das ganze Altertum hat Gespenster geglaubt. Die dramatischen
Dichter des Altertums hatten also recht, diesen Glauben zu nutzen; wenn
wir bei einem von ihnen wiederkommende Tote aufgefuehret finden, so waere
es unbillig, ihm nach unsern bessern Einsichten den Prozess zu machen.
Aber hat darum der neue, diese
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