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kann jederzeit angetreten werden; sein Werk bleibt da und kann uns immer
wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunst des Schauspielers ist
in ihren Werken transitorisch. Sein Gutes und Schlimmes rauschet gleich
schnell vorbei; und nicht selten ist die heutige Laune des Zuschauers
mehr Ursache, als er selbst, warum das eine oder das andere einen
lebhafteren Eindruck auf jenen gemacht hat.
Eine schoene Figur, eine bezaubernde Miene, ein sprechendes Auge, ein
reizender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodische Stimme: sind Dinge,
die sich nicht wohl mit Worten ausdruecken lassen. Doch sind es auch weder
die einzigen noch groessten Vollkommenheiten des Schauspielers. Schaetzbare
Gaben der Natur, zu seinem Berufe sehr noetig, aber noch lange nicht
seinen Beruf erfuellend! Er muss ueberall mit dem Dichter denken; er muss da,
wo dem Dichter etwas Menschliches widerfahren ist, fuer ihn denken.
Man hat allen Grund, haeufige Beispiele hiervon sich von unsern
Schauspielern zu versprechen.--Doch ich will die Erwartung des Publikums
nicht hoeher stimmen. Beide schaden sich selbst: der zu viel verspricht,
und der zu viel erwartet.
Heute geschieht die Eroeffnung der Buehne. Sie wird viel entscheiden; sie
muss aber nicht alles entscheiden sollen. In den ersten Tagen werden sich
die Urteile ziemlich durchkreuzen. Es wuerde Muehe kosten, ein ruhiges
Gehoer zu erlangen.--Das erste Blatt dieser Schrift soll daher nicht eher
als mit dem Anfange des kuenftigen Monats erscheinen.
Hamburg, den 22. April 1767.
----Fussnote
[1] "Werke", dritter Teil, S. 252."
----Fussnote
Erster Band
Erstes Stueck
Den 1. Mai 1767
Das Theater ist den 22. vorigen Monats mit dem Trauerspiele: "Olint und
Sophronia" gluecklich eroeffnet worden. Ohne Zweifel wollte man gern mit
einem deutschen Originale anfangen, welches hier noch den Reiz der
Neuheit habe. Der innere Wert dieses Stueckes konnte auf eine solche Ehre
keinen Anspruch machen. Die Wahl waere zu tadeln, wenn sich zeigen liesse,
dass man eine viel bessere haette treffen koennen.
"Olint und Sophronia" ist das Werk eines jungen Dichters, und sein
unvollendet hinterlassenes Werk. Cronegk starb allerdings fuer unsere
Buehne zu frueh; aber eigentlich gruendet sich sein Ruhm mehr auf das was
er, nach dem Urteile seiner Freunde, fuer dieselbe noch haette leisten
koennen, als was er wirklich geleistet hat. Und welcher dramatische
Dichter, aus allen Zeiten und Nationen,
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