reiem Feld, im Waldesdickicht fast nirgends ein Bild, das an Europa
mahnt; denn von der Vegetation haengt der Charakter einer Landschaft ab;
sie wirkt auf unsere Einbildungskraft durch ihre Masse, durch den Contrast
zwischen ihren Gebilden und den Glanz ihrer Farben. Je neuer und maechtiger
die Eindruecke sind, desto mehr loeschen sie fruehere Eindruecke aus, und
durch die Staerke erhalten sie den Anschein der Zeitdauer. Ich berufe mich
auf alle, die mit mehr Sinn fuer die Schoenheiten der Natur als fuer die
Reize des geselligen Lebens lange in der heissen Zone gelebt haben. Das
erste Land, das ihr Fuss betreten, wie theuer und denkwuerdig bleibt es
ihnen ihr Lebenlang! Oft, und bis ins hoechste Alter, regt sich in ihnen
ein dunkles Sehnsuchtsgefuehl, es noch einmal zu sehen. Cumana und sein
staubigter Boden stehen noch jetzt weit oefter vor meinem inneren Auge als
alle Wunder der Cordilleren. Unter dem schoenen suedlichen Himmel wird
selbst ein Land fast ohne Pflanzenwuchs reizend durch das Licht und die
Magie der in der Luft spielenden Farben. Die Sonne beleuchtet nicht
allein, sie faerbt die Gegenstaende, sie umgibt sie mit einem leichten Duft,
der, ohne die Durchsichtigkeit der Luft zu mindern, die Farben
harmonischer macht, die Lichteffekte mildert und ueber die Natur eine Ruhe
ausgiesst, die sich in unserer Seele wiederspiegelt. Um den gewaltigen
Eindruck der Landschaften beider Indien, selbst kaerglich bewaldeter
Kuestenstriche zu begreifen, bedenke man nur, dass von Neapel dem Aequator
zu der Himmel in dem Verhaeltniss immer schoener wird, wie von der Provence
nach Unteritalien.
Wir liefen waehrend der Fluth ueber die Barre, welche der kleine Manzanares
an seiner Muendung gebildet hat. Der abendliche Seewind schwellte sanft die
Gewaesser des Meerbusens von Cariaco. Der Mond war noch nicht aufgegangen,
aber der Theil der Milchstrasse zwischen den Fuessen des Centauren und dem
Sternbild des Schuetzen schien einen Silberschimmer auf die Meeresflaeche zu
werfen. Der weisse Fels, auf dem das Schloss San Antonio steht, tauchte
zuweilen zwischen den hohen Wipfeln der Cocospalmen am Ufer auf. Nicht
lange, so erkannten wir die Kueste nur noch an den zerstreuten Lichtern
fischender Guayqueries: da empfanden wir doppelt den Reiz des Landes und
das schmerzliche Gefuehl, scheiden zu muessen. Vor fuenf Monaten hatten wir
dieses Ufer betreten, wie ein neu entdecktes Land, Fremdlinge in der
ganzen Umgebung, in jeden Busch, an je
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