heit, wie man nur Wahrheiten verteidigt, die man
unbedingt noetig hat. Und dennoch sind wir so ganz vom boesen Gewissen
zernagt, dass kein heiler Fleck mehr an uns ist. Hinzu kommt, dass die
ganze Art unserer inneren Existenz, unsere Weltanschauung, unsere
Arbeitsweise ... von schrecklich ungesunder, unterminierender,
aufreibender Wirkung ist, und auch dies verschlimmert die Sache. Da gibt
es nun kleine Linderungsmittel, ohne die man es einfach nicht aushielte.
Eine gewisse Artigkeit und hygienische Strenge der Lebensfuehrung zum
Beispiel ist manchen von uns Beduerfnis. Frueh aufstehen, grausam frueh,
ein kaltes Bad und ein Spaziergang hinaus in den Schnee ... Das macht,
dass wir vielleicht eine Stunde lang ein wenig zufrieden mit uns sind.
Gaebe ich mich, wie ich bin, so wuerde ich bis in den Nachmittag hinein im
Bette liegen, glauben Sie mir. Wenn ich frueh aufstehe, so ist das
eigentlich Heuchelei."
"Nein, weshalb, Herr Spinell! Ich nenne das Selbstueberwindung ... Nicht
wahr, Frau Raetin?" -- Auch die Raetin Spatz nannte es Selbstueberwindung.
"Heuchelei oder Selbstueberwindung, gnaedige Frau! Welches Wort man nun
vorzieht. Ich bin so gramvoll ehrlich veranlagt, dass ich ..."
"Das ist es. Sicher graemen Sie sich zuviel."
"Ja, gnaedige Frau, ich graeme mich viel."
-- Das gute Wetter hielt an. Weiss, hart und sauber, in Windstille und
lichtem Frost, in blendender Helle und blaeulichem Schatten lag die
Gegend, lagen Berge, Haus und Garten, und ein zartblauer Himmel, in dem
Myriaden von flimmernden Leuchtkoerperchen, von glitzernden Kristallen zu
tanzen schienen, woelbte sich makellos ueber dem Ganzen. Der Gattin Herrn
Kloeterjahns ging es leidlich in dieser Zeit; sie war fieberfrei, hustete
fast gar nicht und ass ohne allzuviel Widerwillen. Oftmals sass sie, wie
das ihre Vorschrift war, stundenlang im sonnigen Frost auf der Terrasse.
Sie sass im Schnee, ganz in Decken und Pelzwerk verpackt, und atmete
hoffnungsvoll die reine, eisige Luft, um ihrer Luftroehre zu dienen. Dann
bemerkte sie zuweilen Herrn Spinell, wie er, ebenfalls warm gekleidet
und in Pelzschuhen, die seinen Fuessen einen phantastischen Umfang
verliehen, sich im Garten erging. Er ging mit tastenden Schritten und
einer gewissen behutsamen und steif-grazioesen Armhaltung durch den
Schnee, gruesste sie ehrerbietig, wenn er zur Terrasse kam, und stieg die
unteren Stufen hinan, um ein kleines Gespraech zu beginnen.
"Heute, auf meinem Morgenspazierg
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