ffen wusste sie es mit sicherem Geschmack zu
behandeln. Sie zeigte einen nervoesen Sinn fuer differenzierte Klangfarbe
und eine Freude an rhythmischer Beweglichkeit, die bis zum
Phantastischen ging. Ihr Anschlag war sowohl fest als weich. Unter ihren
Haenden sang die Melodie ihre letzte Suessigkeit aus, und mit einer
zoegernden Grazie schmiegten sich die Verzierungen um ihre Glieder.
Sie trug das Kleid vom Tage ihrer Ankunft: die dunkle, gewichtige
Taille mit den plastischen Sammetarabesken, die Haupt und Haende so
unirdisch zart erscheinen liess. Ihr Gesichtsausdruck veraenderte sich
nicht beim Spiele, aber es schien, als ob die Umrisse ihrer Lippen noch
klarer wuerden, die Schatten in den Winkeln ihrer Augen sich vertieften.
Als sie geendigt hatte, legte sie die Haende in den Schoss und fuhr fort,
auf die Noten zu blicken. Herr Spinell blieb ohne Laut und Bewegung
sitzen.
Sie spielte noch ein Nocturne, spielte ein zweites und drittes. Dann
erhob sie sich; aber nur, um auf dem oberen Klavierdeckel nach neuen
Noten zu suchen.
Herr Spinell hatte den Einfall, die Baende in schwarzen Pappdeckeln zu
untersuchen, die auf dem Drehsessel lagen. Ploetzlich stiess er einen
unverstaendlichen Laut aus, und seine grossen, weissen Haende fingerten
leidenschaftlich an einem dieser vernachlaessigten Buecher.
"Nicht moeglich! ... Es ist nicht wahr! ... " sagte er ... "Und dennoch
taeusche ich mich nicht! ... Wissen Sie, was es ist? ... Was hier lag?
... Was ich hier halte? ... "
"Was ist es?" fragte sie.
Da wies er ihr stumm das Titelblatt. Er war ganz bleich, liess das Buch
sinken und sah sie mit zitternden Lippen an.
"Wahrhaftig? Wie kommt das hierher? Also geben Sie", sagte sie einfach,
stellte die Noten aufs Pult, setzte sich und begann nach einem
Augenblick der Stille mit der ersten Seite.
Er sass neben ihr, vornuebergebeugt, die Haende zwischen den Knieen
gefaltet, mit gesenktem Kopfe. Sie spielte den Anfang mit einer
ausschweifenden und quaelenden Langsamkeit, mit beunruhigend gedehnten
Pausen zwischen den einzelnen Figuren. Das Sehnsuchtsmotiv, eine einsame
und irrende Stimme in der Nacht, liess leise seine bange Frage vernehmen.
Eine Stille und ein Warten. Und siehe, es antwortet: derselbe zage und
einsame Klang, nur heller, nur zarter. Ein neues Schweigen. Da setzte
mit jenem gedaempften und wundervollen Sforzato, das ist wie ein
Sich-Aufraffen und seliges Aufbegehren der Leiden schaft, das
Liebesmotiv ein,
|